Wer hätte das für möglich gehalten: Michael Frey (27) ist aktuell der formstärkste Schweizer Angreifer. Der Berner Stürmer führt die Torjägerliste der belgischen Liga an. Ein Jahr erst ist es her, als er vielfach bereits abgeschrieben wurde. Eine bemerkenswerte Geschichte – die wohl bald in einem Nati-Aufgebot ihr nächstes Highlight finden wird.
Michael Frey galt in seiner Karriere bereits öfter als gescheitert. 2015 etwa, als er nur ein Jahr nach seinem Wechsel in die Ligue 1 zu LOSC Lille wieder in die Schweiz zurückkehrte und beim FC Luzern unterschrieb. Oder 2019, als er sich nach einem schwierigen Jahr bei Fenerbahce in die 2. Bundesliga zum 1. FC Nürnberg ausleihen liess. Oder 2020, als Frey nach seinem wenig erfolgreichen Deutschland-Engagement eine erneute Leihe zum belgischen Provinzklub Waasland-Beveren antrat. Von schwierigen Saisonverläufen, schweren Verletzungen und medialem Gegenwind liess sich die Sturmkante aber nie beirren. Und nun, mit 27 Jahren, darf Frey mit Fug und Recht von sich behaupten, zur Zeit der formstärkste Angreifer mit Schweizer Pass zu sein.
Eine Reizfigur
Er hat eine lange Reise hinter sich. In Bern, seiner Heimat, ist er längst als „persona non grata“ verrufen. Der Grund: Im FCZ-Trikot bejubelte er im Cupfinale 2018 seinen Treffer gegen seinen Jugendklub YB aggressiv-frenetisch vor den Berner Fans und der Trainerbank um Adi Hütter. Aktionen wie diese fügen sich in ein Gesamtbild des Menschen Michael Frey. Er ist jemand, der gerne provoziert. Jemand, der aneckt, der sich nichts bieten und seinen Emotionen freien Lauf lässt. „Michi“ Frey, wie er hierzulande stets genannt wird, ist eine klassische Reizfigur. Aber er hat ein unfassbares inneres Feuer – und unheimlich viel Biss.
Denn dank diesen Tugenden hat die Reizfigur gelernt, Taten auf dem Rasen sprechen zu lassen. Frey hat bewiesen, sich für Umwege nicht zu schade zu sein. In seiner Karriere wurde ihm nichts geschenkt, doch mit beispielhaftem Biss und Durchsetzungsvermögen hat er seinen Weg gemacht. Der Lohn: Seine Kritiker hat er Lügen gestraft. Und sportlich hat er ein Niveau erreicht, das ihm nach dem abermaligen Scheitern in Frankreich, in Deutschland und in der Türkei kaum mehr einer zugetraut hätte.
Das Glück wartete in Belgien
Im letzten Jahr stand Frey am Scheideweg seiner Karriere: Beim 1. FC Nürnberg konnte er sich nicht wie erhofft freischiessen, in insgesamt 30 Auftritten gelangen ihm nur 5 Treffer. Bei seinem Stammklub Fenerbahce war er in der Stürmerhierarchie ganz hinten angelangt. Eine echte Chance bot sich ihm dort nicht. Somit war klar, dass ein Abgang unausweichlich sein würde. Als im Juni 2020 der belgische Provinzklub Waasland-Beveren anklopfte, entschloss sich Frey zum Schritt in die Jupiler Pro League. Eine Entscheidung, die sich als die vielleicht beste seiner Karriere entpuppte.
Wie es der Zufall wollte, wechselte im selben Transferfenster ein weiterer Schweizer zu Waasland-Beveren: Leonardo Bertone (27), seines Zeichens ebenfalls ein „YB-Giel“. Dass die beiden Schweizer nach Ostflandern fanden, haben sie einem weiteren Landsmann zu verdanken: Der St. Galler Roger Stilz amtet beim Kleinklub aus Beveren als Sportchef. Er dürfte all seine Kontakte spielen lassen haben, um Frey zu bekommen.
Der Wechsel erwies sich schon bald als Glücksgriff für alle Seiten: Frey knipste sofort und hielt Waasland-Beveren im Alleingang am Leben. 17 Tore erzielte der wuchtige Stürmer bis zum Ende der Saison, dennoch konnte er den Abstieg über die Relegation nicht abwenden. Anstatt in der zweiten Liga, kickt er nun aber bei einem belgischen Grossklub: Royal Antwerpen übernahm den Schweizer Angreifer nach seiner überragenden Vorsaison für läppische 2 Millionen Euro von Fenerbahce.
In Antwerpen macht er nun genau so weiter. Aktuell ist Frey der alles überragende Torjäger Belgiens. Nach 7 Spieltagen steht er bereits bei 9 Treffern. Eine Wahnsinnsquote, die ihn wenig überraschend zum besten Scorer der Liga macht. Besonders in Erinnerung bleiben dürfte sein Fünferpack, welchem er am 3. Spieltag gegen Standard Lüttich erzielt hat. Beim 2:5-Auswärtserfolg ballerte Frey sämtliche Treffer seines Teams. Seine Tore in dieser noch jungen Saison garantierten Antwerpen insgesamt 7 Punkte. Nach 7 Spielen weist Antwerpen ein Total von 11 Zählern auf – das Gewicht Freys ist also bereits extrem gross.
Vom Absteiger zum Europa League-Teilnehmer: Für den 27-Jährigen könnte der Tapetenwechsel kaum erfreulicher sein. Nicht nur zerschiesst er weiterhin die Liga, mit Antwerpen erhält Frey nun auch noch die Gelegenheit, sein Können auf der europäischen Bühne zu zeigen. Ob er auch dort für Schlagzeilen sorgen wird?
Der formstärkste Schweizer Stürmer
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Michi Frey ist aktuell der formstärkste Schweizer Stürmer. Kein Spieler mit rotem Pass kann mit seiner Torquote mithalten. Josip Drmic (29) ist bei Rijeka zwar ebenfalls gut aus den Startlöchern gekommen (7 Tore in 7 Spielen), läuft aber in einem schwächeren Championnat auf. Haris Seferovic (29) hätte verkauft werden sollen und ist nun nach dem gescheiterten Abgang bei Benfica aussen vor. Mario Gavranovic (31) hat sich nach seinem Wechsel zu Kayserispor sogleich verletzt, Breel Embolo (24) gab nach überstandener Blessur erst in der letzten Woche sein Comeback. Andi Zeqiri (22) und Cedric Itten (24) erhalten nun in der Bundesliga beim FC Augsburg und bei Greuther Fürth mehr Spielanteile, konnten in Deutschland aber noch nicht treffen. Bleibt noch Albian Ajeti (24), der mit 3 Treffern in den letzten 3 Partien für Celtic zumindest ein kleines Ausrufezeichen sendet.
Was aber deutlich ist: Der Antwerpen-Stürmer ist unbestritten der erfolgreichste Torjäger, der Murat Yakin im Moment zur Verfügung steht. Noch nie war Frey einem Platz in der Nati näher als jetzt – und noch nie hätte er ein Aufgebot mehr verdient. Immer wieder formulierte er in den letzten Jahren Nati-Ambitionen, doch bei Petkovic stiess er stets auf taube Ohren. Mit Murat Yakin könnte sich das nun ändern. Der neue Nationaltrainer sorgte bereits für einen kleinen Fingerzeig, indem er Frey auf die Abrufliste setzte. Die Schweiz braucht dringend einen Knipser. Kaum vorstellbar, dass der Belgien-Legionär den Elfmeter gegen Nordirland in seiner aktuellen Verfassung ähnlich kläglich wie Seferovic vergeben hätte. Ein Nati-Aufgebot für die Oktober-Spiele ist angesichts seiner bestechenden Form und dem Mangel an erfolgsverwöhnten Alternativen ein No-Brainer.
Nicht nur kommt Frey aus einer persönlich exzellenten Phase, er bringt durch seinen Spielstil auch so wertvolle Elemente in die Nati. Seine Wucht, seine Leidenschaft und seine Aggressivität würden gerade gegen tiefstehende Gegner dem gesamten Team weiterhelfen. Frey mag kein technisch begnadeter Schönspieler sein, oder eine dynamische Sprintrakete. Vielmehr ist er eine 1,90m grosse Sturmkante, die mit Überzeugung und Power in der Box agiert. Ein Spieler voller Selbstvertrauen, der nicht zögert oder zaudert, sondern von sich und seinen Qualitäten überzeugt ist. Der Spieler auf dem Rasen deckt sich mit seiner Persönlichkeit: Wuchtig, hart, ohne Rücksicht auf Verluste. Genau was die Nati braucht.