Wieso Ermedin Demirovic in der Bundesliga gerade steilgeht

Letzte Saison noch Teil des gefürchteten Sturmduos, das den FC St. Gallen 1879 vom sensationellen Titelgewinn träumen liess, geht Ermedin Demirovic mittlerweile beim SC Freiburg auf Torejagd. Nachdem der Deutsch-Bosnier zum Start wortwörtlich ausgebremst wurde, zeigte er in den letzten Wochen durchgehend starke Spiele in der Bundesliga. Bolzplazz zeigt auf, wieso diese guten Auftritte kein Zufall sind.

© Sam Modestia/Sandro Färber // 14 Tore und 7 Vorlagen in 28 Spielen für den FCSG

20. Dezember 2020, 15.30 Uhr: Der Sportclub aus Freiburg empfängt an einem tristen, grauen Sonntagnachmittag Hertha BSC im Schwarzwaldstadion. Freiburg schickt die Herthaner zwar mit einer 4:1 Packung zurück in die Hauptstadt, trotzdem dürften sich die Wenigsten noch gross an diese Partie erinnern. Einer, dem dieses Spiel sicherlich für eine sehr lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf gehen wird, ist Ermedin Demirovic. Dies mit gutem Grund: In der 59 Spielminute kommt der Ball etwa auf Höhe des Elfmeterpunktes über Umwege zu Demirovic, der mit einem Rechtsschuss vorbei an Schwolow seinen ersten Treffer in der Bundesliga markiert. Es scheint, als sei dieses Tor ein richtiger «Knotenlöser» beim 1.85 m-Mann gewesen. Inklusive besagter Begegnung gelangen ihm 3 Tore und 6 Vorlagen in den letzten sechs Spielen in Deutschlands höchster Spielklasse. Oder anders ausgedrückt gelingt dem Stürmer seit der Hertha-Partie im Schnitt alle 47.6 Spielminuten ein Scorerpunkt – ein überragender Wert!

Über Talent verfügte Demirovic schon immer reichlich. Ausgebildet wurde er im Nachwuchsleistungszentrum des Hamburger SV, ehe 2014 RB Leipzig anklopfte und ihn in ihre Nachwuchsakademie aufnahm. In den U-Mannschaften von RB Leipzig konnte sich Demirovic trotz starker Konkurrenz meist durchsetzen und bewies sich als äusserst treffsicherer Stürmer. Der Schritt in den Profifussball gelang dem gebürtigen Hamburger jedoch bei Deportivo Alavés in Spaniens LaLiga. So richtig zur Entfaltung kam Demirovic aber weder im Baskenland, noch bei seinen folgenden Leih-Stationen in Sochaux und in Almería. Erst ein gewisser Peter Zeidler formte aus dem mit vielversprechenden Anlagen ausgestatteten Rechtsfuss einen richtig gefährlichen Angreifer mit individuell-charakteristischen Fähigkeiten. Im aggressiven Pressing-Fussball kamen die Stärken von Demirovic erst richtig zur Geltung. Mit seiner Spielweise und seiner angreiferischen, selbstbewussten Art passte der Deutsch-Bosnier perfekt zum zeidlerschen «Vollgas-Fussball». Christian Streich hat in Freiburg einen etwas anderen Spielansatz installiert. Trotzdem gibt es einige Parallelen zwischen den Espen aus der Saison 2019/2020 und dem aktuellen System des Sportclubs. Zu nennen sind hierbei die ausserordentliche Laufbereitschaft, dass sich sämtliche Offensivakteure auch am Verteidigen beteiligen, hohes Risiko im Umschaltspiel nach Ballgewinn und wenn immer möglich soll ein ansehnliches Pass- und Positionsspiel aufgezogen werden. Daneben sind Kampf und ein starkes Mannschaftsgefüge weitere zentrale Elemente, welche sowohl Zeidler als auch Streich vehement einfordern.

Legt man nun den Fokus wieder auf Demirovic, kommt man schnell zum Schluss, dass der Stürmer die eben genannten Aspekte perfekt auf sich vereint und genau in diesen Bereichen seine Stärken liegen. Der Deutsch-Bosnier spielt enorm mannschaftsdienlich und erhält er den Ball in einer offensiven Umschaltsituation, fackelt er meist nicht lange und sucht den direkten Weg zum Tor. Im Pressing zeichnet Demirovic sein galliges Anlaufverhalten aus und durch seine herausragenden physischen Qualitäten – sowohl im Kraft- als auch im Ausdauerbereich – kann er dies auch über die vollen 90 Minuten mit einer hohen Pace durchziehen. Im momentan von Streich bevorzugtem flachen 5-4-1 bildet der Rechtsfuss als einziger Stürmer quasi alleine die erste Linie, welche die gegnerischen Verteidiger im Spielaufbau stören soll. Natürlich wird der Neuner von Vincenzo Grifo auf links und dem rechten Mittelfeldspieler (meist Roland Sallai oder Lucas Höler) unterstützt, jedoch muss Demirovic einiges an «Drecksarbeit» alleine verrichten. Diese undankbare Aufgabe erledigt er aber stets mit Bravour und ohne zu Murren.

Diese Fähigkeit lässt sich auch mit einer Statistik bestens untermalen: In seinen bisherigen Einsätzen in der Bundesliga, setzte Demirovic insgesamt 167 mal einen gegnerischen Spieler in unmittelbarer Ballnähe unter Druck. Ein äusserst starker und wichtiger Wert, denn in 40 Fällen war dieses Pressing erfolgreich und der SC Freiburg konnte dadurch eigenen Ballbesitz erlangen. Ein weiterer spannender Wert ist, dass der U21-Internationale von Bosnien und Herzegowina in dieser Saison 62.5% seiner abgegebenen Schüsse aufs Tor bringt. Im Vergleich zu seiner Zeit in der Schweiz hat er diesen Wert fast verdoppeln können. Dagegen hat er bezüglich allgemeiner Spieleinbindung und eigenen gefährlichen Aktionen definitiv noch Luft nach oben. Durchschnittlich 2.35 abgegebene Schüsse pro 90 Minuten sind weniger als Demirovic im Dress des FC St. Gallen hatte – jedoch muss hierbei berücksichtigt werden, dass die Stürmer in der Bundesliga auf deutlich härteren Widerstand der Verteidiger treffen als in der Schweiz. Bereits hier lässt sich aber eine Tendenz in Demirovics Entwicklung beobachten: Während er zwar weniger zum Abschluss kommt als letztes Jahr, hat er die Qualität seiner Torabschlüsse erheblich verbessern können, er macht also aus weniger mehr.

Mit einer Erfolgsquote von nur 30.1 %. hat Freiburgs Nummer 11 im Luftduell noch ziemliches Verbesserungspotential: Vielfach hapert es bei ihm im Kopfballspiel etwas am Timing, denn mit seiner stattlichen Wasserverdrängung und seiner Grösse bringt er eigentlich optimale Voraussetzungen für erfolgreiche Kopfbälle oder gar Tore per Kopf mit.

Betrachtet man die genannten Punkte in ihrer Ganzheit, ist die momentane Erfolgswelle des 22-Jährigen alles andere als Zufall. Vielmehr hat sich Demirovic nach dem eher mässigen Start im Breisgau (inklusive dem von den Medien breitgetretenen «600 PS-Skandal») langsam aber stetig an das höhere Niveau der Bundesliga gewöhnt. Zieht man seine Zeit bei den Espen als Referenz heran, dürfte er sicherlich auch im Training immer zu den Fleissigsten gehören und entsprechend auch positiv auf sich aufmerksam gemacht haben. Mittlerweile ist Demirovic ein essenzieller Bestandteil einer erneut – gemessen an den finanziellen Möglichkeiten – grossartig aufspielenden Freiburger Mannschaft. Christian Streich weiss genau, was er an Demirovic hat und was er von ihm erwarten kann. In puncto Pressing, Laufarbeit und Defensivverhalten zählt das Kraftpaket mit Kämpferherz bereits jetzt zu den besten Offensivakteuren in Deutschland. Kann Demirovic seine Tor- und Assistquote der letzten Wochen auch nur annähernd auf ähnlichem Level halten, dürfte er endgültig ein unverzichtbarer Mann des Sportclubs werden und sich so richtig in die Herzen der Freiburg-Fans schiessen. Das Potential zum Publikumsliebling hat «Demi» mit seiner mitreissenden und emotionalen Art auf dem Platz allemal – da muss man nur mal ein paar grün-weisse Fussballfans aus der Ostschweiz fragen…

SWR Demirovic-Porträt: https://www.swr.de/sport/fussball/sc-freiburg/der-boxer-ermedin-demirovic-beim-sc-freiburg-100.html

Interview mit SPOX.com: https://www.spox.com/de/sport/fussball/bundesliga/2101/Artikel/ermedin-demirovic-vom-sc-freiburg-im-interview-christian-streich-fc-st-gallen-itw.html

Demirovic bringt Streich ins Schwärmen: https://www.ligainsider.de/ermedin-demirovi_24166/sc-freiburg-ermedin-demirovi-bringt-trainer-streich-zum-schwaermen-298737/

Demirovic als Symbol des SCF-Höhenflugs: https://www.wz.de/sport/fussball/bundesliga/symbol-des-freiburger-hoehenflugs-ermedin-demirovic_aid-55717907

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