Er ist die nächste grosse Schweizer Torwarthoffnung: Amir Saipi (21), Stammkeeper des FC Schaffhausen und in der Schweizer U21-Nationalmannschaft. Bolzplazz hat den 1,94m-Schrank zum Interview getroffen. «Amce», wie er seit klein auf genannt wird, spricht mit uns über turbulente Karrierephasen, die Schweizer Nationalmannschaft und die leidige Hymnen-Debatte.
Hi Amir! Wie anstrengend ist eigentlich die Saisonvorbereitung für einen Torwart?
Für uns ist sie sicher etwas entspannter als für die Feldspieler. Diese müssen an ihrer Ausdauer und an ihrer Spritzigkeit arbeiten. Wir Goalies machen in der Vorbereitungsphase mehr Übungen für die Sprungkraft und fangen viele Bälle. Gewisse Unterschiede in der Vorbereitung zwischen Feldspieler und Torhüter sind also definitiv vorhanden.
Wie empfindest du die «Preseason»? Anderer Rhythmus, Testspiele etc.: Hat diese Zeit für dich einen besonderen Reiz? Oder schmerz vor allem die grössere physische Anstrengung?
Sicher beides: Einerseits gibt es viele Testspiele, wo viel Taktisches ausprobiert werden kann. Klar ist die Vorbereitungsphase aber strenger als die Trainings während der Saison. Am Ende gehört diese intensive Zeit zum Fussball, man muss ja schliesslich wieder auf dem selben Level sein wie vor dem Saisonende.
Wir wollen ein wenig über deine Person plaudern: Du giltst schon lange als eines der grössten Schweizer Goalietalente. Was lösen solche Bezeichnungen in dir aus?
Es ist immer schön, von Aussenstehenden zu hören, dass man auf dem richtigen Weg ist. Aber du musst dich weiterhin auf dich selber konzentrieren und jeden Tag deine Leistung abrufen, damit du stets einen Schritt vorwärtskommst.
Wo siehst du deine Stärken als Torhüter?
Beim Spielaufbau, bei hohen Bällen und im Eins gegen Eins.
In welchen Bereichen musst du dich noch verbessern?
Im physischen Bereich kann man sich immer verbessern. Dort muss ich noch einen Zacken drauflegen.
Im Torhüter-Business wird viel über Grösse geredet. Du misst 1,94m. Siehst du dich im Vorteil gegenüber anderen Keepern?
Die Grösse bietet sowohl Vor- als auch Nachteile. Yann Sommer beispielsweise ist ja bekanntlich nicht der Grösste, ist dafür aber sehr schnell am Boden. Als grosser Torwart hast du eine grössere Spannweite, die dir insgesamt sicher hilft. Gerade im englischen Fussball wird von Torhütern grundsätzlich eine gewisse Grösse verlangt.
Gibt es einen Goalie, zu dem du aufschaust?
Als ich klein war, schaute ich zu Vaso Vasic auf, der früher ja auch einmal beim FC Schaffhausen war. Mittlerweile ist er ein guter Kollege von mir. Von ihm habe ich mir viel abgesehen, gerade was das Aufbauspiel und länge Bälle betrifft. Daneben gehört natürlich auch Manuel Neuer zu meinen Vorbildern, der nicht nur ein überragender Torwart ist, sondern fast wie ein Libero agiert. Er ist immer anspielbar und immer bereit, um der Mannschaft mit dem Fuss zu helfen, was mir sehr gefällt.
Was ist deine fachmännische Meinung zu den EURO-Performances von Yann Sommer?
Er hat das sehr gut gemacht. Als Mannschaft hat die Schweiz zwar gegen Italien einen schlechten Tag erwischt, danach hat man aber gesehen, dass er stets für das Team da ist. Obwohl er eben ein kleinerer Torwart ist, hat er dank seiner Sprungkraft etliche schwierige Bälle spektakulär gekratzt. Meiner Meinung nach war er der beste Schweizer an der EURO.
Hast du als Fussballprofi die EURO aktiv mitverfolgt? Oder hast du das Geschehen nur aus der Distanz betrachtet?
Ich habe das Turnier sowohl als Fan als auch als Profispieler mitverfolgt. Als Goalie habe mich im Speziellen auf die anderen Torhüter geachtet, und als Fan habe ich mich einfach extrem über den grossen Erfolg der Schweiz gefreut.
Ist dir an der EURO sonst noch ein Torwart speziell positiv aufgefallen?
Ja, da gab es durchaus einige: Pickford fischte viele Bälle stark raus, Unai Simon hat mir ebenfalls gefallen. Neuer, zu dem ich aufschaue, hatte leider kein überragendes Turnier. Aber insgesamt glaube ich, dass es eine starke EM der Torhüter war.
Reden wir ein wenig über den FC Schaffhausen: In der letzten Saison habt ihr eure gute Ausgangslage auf den Schlussmetern verspielt: Was hat nicht mehr gestimmt?
Wir spielten wirklich eine gute Saison, das haben uns auch die Fans zu spüren gegeben. Gerade intern hatten wir eine super Stimmung. Hätten wir das ein oder andere Tor gegen Ende nicht kassiert oder insgesamt etwas konsequenter verteidigt, hätten wir durchaus noch ein Wörtchen um den Aufstieg mitreden können. Das Schlüsselspiel, das uns die gute Ausgangslage gekostet hat, war das Spiel in Thun am 34. Spieltag (0:1, anm. d Red.). Wir hielten gut dagegen bis zur 70. Minute, ehe wir uns den Gegentreffer fingen und uns nicht mehr davon erholen konnten.
In wenigen Tagen beginnt die neue Saison. Was habt ihr euch konkret vorgenommen?
Wir wollen erneut oben mitspielen. Die Mannschaft ist grösstenteils zusammengeblieben. Als eingespieltes Team haben wir so einen Vorteil gegenüber anderen Vereinen. Intern haben wir uns vorgenommen, den Aufstieg anzupeilen.
Du hast in diesem Frühling deinen Platz als Nr. 1 von Da Costa zurückerobert. Was war ausschlaggebend, dass Yakin wieder auf dich setzte?
Da muss ich ein wenig ausholen: Schon bevor Da Costa im letzten Sommer zum FCS wechselte, hatte ich mich entschieden, die Sportler RS zu absolvieren. Diese dauerte von Oktober 2020 bis März 2021. Ich war somit unter der Woche weg und konnte daher natürlich weniger spielen. Als ich dann im Frühling zurückkam, versicherte mir Yakin, dass ich einfach im Training meine Leistung bringen muss, dann würde alles andere schon von selbst kommen. Ich habe mir das zu Herzen genommen und genau das umgesetzt, was der Trainer wollte. Er begann wieder auf mich zu setzten und ich konnte meinen Platz zurückerobern.
Als Aussenstehender ist es schwierig zu beurteilen, wie der Konkurrenzkampf innerhalb der Mannschaft abläuft. Was hattest du für ein Verhältnis zu deinen bisherigen Konkurrenten?
Ich pflegte immer zu allen eine gute Beziehung. Untereinander ist ein gewisser Respekt vorhanden, aber im Training musst du einfach immer besser als der andere sein.
Du gehst jetzt in deine 3. Profi-Saison mit dem FCS. Wie hast du dich seit Sommer 2019 weiterentwickelt?
Vom Juniorenbereich in den Profifussball zu wechseln, war eine grosse Umstellung. Daher lernt man als junger Spieler ständig neu dazu. Grosse Fortschritte habe ich etwa darin gemacht, das Spiel zu lesen oder meine Mitspieler zu dirigieren. Ich will weiterhin jeden Tag einen neuen Sprung nach vorne machen, denn an jedem Tag gibt es etwas Neues zu erlernen.
Wenn du die Challenge League-Torhüter der letzten Saison vergleichst – wer hat deiner Meinung nach am besten performt?
Sicher erwähnen muss man Mateo Matic von GC. Er hat ihnen viele Punkte gerettet mit Big Saves. Als ich bei GC war, war er mein Konkurrent. Da muss ich mein Hut ziehen, wie er das in der letzten Saison gemacht hat.
Wer war bis jetzt dein unangenehmster Gegenspieler?
In meiner ersten Saison war das Stefan Maierhofer von Aarau. Und in der letzten Saison war es wieder ein Aarau-Stürmer, nämlich Filip Stojilkovic, den ich aus der Nati kenne. Ihn macht sein Killerinstinkt und sein Verständnis für den Raum sehr stark.
Es gab ja bereits viel medialen Lärm um dich bezüglich deines Wechsels 2019 von GC zurück zu deinem Jugendklub Schaffhausen. Kannst du uns aus deiner Perspektive erzählen, was vorgefallen ist? Und was konntest du aus dieser Erfahrung mitnehmen?
Mitnehmen konnte ich die Erkenntnis, mich nicht von den Medien ablenken zu lassen. Gott sei Dank bin ich mental sehr stark und habe eine unterstützende, motivierende Familie um mich herum. Es handelte sich damals um ein Missverständnis zwischen GC und Schaffhausen. Ich war vom FCS an GC verliehen, als die Hoppers abstiegen, verlor der Vertrag seine Gültigkeit. GC sah das anders und wollte mich gegen die Vereinbarung halten, glücklicherweise konnte ich aber zu Schaffhausen zurückkehren, wo mir die Nr. 1 Position angeboten wurde. Ich bin froh, dass sich für mich alles zum Guten gewendet hat.
Du hast trotz jungen Alters bereits komplizierte Karrierephasen hinter dir. Zuerst das angesprochene Chaos mit GC, in der letzten Saison musstest du dann über weite Strecken deinem Konkurrenten David Da Costa den Vortritt geben. Was haben diese Negativerlebnisse mit dir gemacht?
Sie haben mich stärker gemacht. Ich habe nichts anderes gemacht, als einfach an mir zu arbeiten. Die RS hat das etwas erschwert, aber dank harter Arbeit befinde ich mich nun wieder in einer guten Situation. Ich schaue jetzt nur noch nach vorne.
Wir wollen natürlich auch noch über deine Rolle in der Schweizer U21-Nationalmannschaft sprechen: Du bist fix als Teil der neuen Generation eingeplant, die ja in diesem Sommer zum ersten Mal zusammen war. Wie hast du die Gruppe wahrgenommen?
Die Spieler sind physisch kleiner als diejenigen aus der alten Generation. Gerade offensiv haben wir jetzt viele kleine, flinke Spieler mit toller Technik. Wir hatten vor wenigen Wochen unser erstes gemeinsames Trainingslager in Marbella, wo wir im ersten Spiel in dieser Zusammensetzung auch gleich 2:0 gegen Irland gewinnen konnten.
Mit welchen Spielern dieser neuen U21-Nati verstehst du dich am besten?
Sehr gut und lange kenne ich Filip Stojilkovic. Er ist ein guter Freund von mir. Dann habe ich auch viel Kontakt mit Simon Sohm, Darian Males und Leonidas Stergiou. Aber wir sind auch als gesamtes Team eine Einheit, und das macht uns stark.
Wie ist die Stimmung zwischen Deutschschweizern und Romands?
Klar sind sowohl Romands als auch Deutschschweizer häufig unter sich. Aber wir achten uns schon darauf, dass wir alle am gleichen Strang ziehen. Die Chemie muss stimmen. Mauro Lustrinelli hat da eine ganz wichtige Rolle, er bringt uns alle zusammen. Man geht immer gern zur Nati, der Staff ist hervorragend und das Training macht grossen Spass. Uns wird auch individuell viel für die Zukunft mitgegeben. Das Gesamtpaket stimmt einfach.
Wie es aussieht, zeichnet sich ein Zweikampf um die Nr. 1-Position im U21-Nati-Tor zwischen dir und Justin Hammel (SLO) ab. Wie schätzt du deine Chancen ein?
Es ist grundsätzlich dasselbe Szenario wie beim Klub: Du musst einfach deine Leistung bringen und nicht auf die anderen schauen, sondern dich vollends auf dich selber konzentrieren. Dann wirst du besser sein als dein Konkurrent. Aber im Fussball kann es sehr schnell gehen: Wenn man plötzlich nur noch auf der Bank sitzt, hat man seinen Platz in der Nati schnell verloren. Daher voller Fokus auf die eigenen Leistungen im Verein.
Was bedeutet es dir, U-Nationalspieler der Schweiz zu sein?
Sehr viel. Nationalspieler zu sein ist für jeden Junior ein Traum. Du vertrittst dein Land, es gibt nichts Schöneres. Ich bin stolz, Teil dieser U21-Nati zu sein.
Wie sieht es mit Kontaktversuchen aus dem Kosovo aus? Ist das eine Hintertür, die du dir offenlässt?
Nein, ich bin voll und ganz auf die Schweizer U21-Nati konzentriert. Der SFV hat mir alles gegeben, was ich brauche. Von meiner Juniorenausbildung bis zur Sportler RS. Die Schweiz ist meine erste Wahl.
Als Mensch mit zwei Herzen in der Brust ist man immer mit diversen Konflikten konfrontiert. Was bedeutet eigentlich für dich «Heimat»?
Ein Grossteil meiner Familie lebt im Kosovo. Klar ist es mir wichtig, wenn ich sie besuchen gehe und dort meine Verwandtschaft treffe. Aber schlussendlich bin ich nicht im Kosovo zuhause, auch wenn mir das Land aufgrund meiner Wurzeln viel bedeutet. Ich bin in der Schweiz zuhause, hier bin ich geboren.
Wie hast du die Debatte während der EM wahrgenommen, als nach den Coiffeuren und Tattoos schnell auch wieder über Doppelbürger und Nationalstolz geredet wurde?
Du musst auf den Menschen schauen, nicht auf sein Auto oder seine Haare. Ja, Xhaka hat seine Haare gefärbt, aber er ist ein Krieger auf dem Platz und hat so viel für die Schweiz geleistet. Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, die Leistung auf dem Feld zu beurteilen. Und ja, diese kann manchmal nicht gut sein, denn jeder zieht einmal einen schlechten Tag ein. Aber der Grund für ungenügende Leistungen sind sicher nicht Haarfarbe oder Autos. Die Nati hat in diesem Sommer bewiesen, was sie kann und wir sollten uns darüber freuen.
Wie stehst du zur Hymnen-Debatte?
Ich habe die Hymne im Militär gelernt. Wenn du mit der Nationalmannschaft spielst, ist es sicher schön, wenn du sie singst. Bei den Italienern sieht das definitiv toll aus. Aber am Ende ist das Singen keine Pflicht. Und die Hymne entscheidet auch nicht über die Leistung, denn es zählt das, was auf dem Platz passiert.
Wenn du etwas an der Schweiz ändern könntest, was wäre es?
Gute Frage! Ich würde nicht viel ändern. Ich bin zufrieden so, wie es ist und bin glücklich und stolz darüber, Schweizer zu sein.
Wie siehst du deine Chancen bezüglich A-Nationalmannschaft?
Das ist noch weit weg. Ich muss mich zuerst darauf fokussieren hier im Verein alles zu geben. Danach peile ich den Schritt in die Super League an, wo ich dann ein paar Jahre spielen will, ehe es dann hoffentlich im Ausland weitergeht. Die Chance auf die A-Nati habe ich sicher, aber ob ich sie packe, liegt alleine an mir.
Deine Beratungsagentur ist IFM, wo unter anderem auch Sommer, Akanji oder Elvedi gesigned sind. Wie läuft eure Zusammenarbeit ab?
Wir haben eine gute Kooperation. Wenn es ein Problem gibt, kann ich mich immer an sie wenden. Die Agentur ist sehr familiär und gibt alles für mich. Wir sind stets in einem engen Austausch und ich bin froh, ein Teil von IFM zu sein.
Wo siehst du dich in 5 Jahren?
Am liebsten irgendwo in der Bundesliga.
Gibt es auch einen Herzensklub?
Bayern!
Wenn du wählen könntest: Aufstieg mit Schaffhausen in die Super League oder Cupfinale?
Am liebsten beides, aber wenn ich mich entscheiden muss: Aufstieg!