Seit Stephan Lichtsteiners Abschied von der Fussballbühne konnte sich in der Schweizer Nationalmannschaft niemand auf Dauer hinten rechts festspielen. Aus dem grossen Pool an Kandidaten hat Petkovic im Hinblick auf die EURO 2021 die Qual der Wahl. Welche Schweizer Rechtsverteidiger haben die besten Karten auf den begehrten Platz? Bolzplazz macht den Check.
© LM/Ettore Griffoni / IPA via weltfussball.com // Gehört ihm die Zukunft? Kevin Rüegg von Hellas Verona.
Vermutlich war in der Schweiz die Personaldecke auf der Rechtsverteidigerposition noch nie so gross wie aktuell. Gleich neun Schweizer bringen den Anspruch oder das Potential mit, in der Nationalmannschaft eine tragende Rolle zu spielen. Im 23-Mann Kader für die EURO 2021 dürften sich aber nur zwei der hier aufgeführten Verteidiger wiederfinden. Wir vergleichen die Kandidaten miteinander und beraten Nationalcoach Vladimir Petkovic dabei, welche Spieler eine Chance in der Nati verdient hätten.
Der Dreikampf
Silvan Widmer, 27: FC Basel
Der einstige Serie A-Legionär hat sich seit seinem Wechsel zurück in die Schweiz beim FC Basel zum unersetzlichen Leistungsträger entwickelt. Defensiv zuverlässig und gefährlich in der Offensive: Widmer bringt ein starkes Gesamtpaket mit und gleicht fehlende Explosivität und Geschwindigkeit durch gutes Stellungsspiel und starkes Zweikampfverhalten aus. Er besitzt einen tollen Offensivkopfball und ist daher bei Standards eine Waffe. Für den FC Basel hat der gebürtige Aarauer in 106 Spielen satte 9 Tore und 17 Vorlagen gesammelt. Eine wirkliche Schwäche hat Widmer nicht, sein Spiel ist meistens unspektakulär aber dafür effektiv. In der Nationalmannschaft fristete er lange ein Schattendasein, doch im Herbst 2020 rückte er plötzlich in die Stammformation und zeigte gute Leistungen. Vier seiner insgesamt zehn Einsätze für die Nati bestritt er damals. Das Highlight: Der Ausgleichstreffer beim 1:1 gegen Deutschland. Widmer hat sich über die Jahre mit harter Arbeit ein sehr gutes Standing geschaffen und dürfte – sofern er fit bleibt – zumindest zu Beginn des EM-Jahres in der Nati hinten rechts verdientermassen gesetzt sein.
Kevin Mbabu, 25: VfL Wolfsburg
Eigentlich schien alles für Kevin Mbabu aufgegleist: Der Überflieger der YB-Meistersaisons 2017/18 und 2018/19 sollte das Erbe von Stephan Lichtsteiner in der Nati antreten. Mbabu lieferte anfänglich grandiose Länderspiele und begeisterte mit seinem unvergleichlichen Speed, seiner Dynamik und einer ihm eigenen rohen Power. Seit seinem Wechsel zu Wolfsburg hat Mbabu den Tritt in der Nati aber etwas verloren. Unnötige und einfache Fehler führten dazu, dass die Rasta-Rakete ihren Platz in der Nationalmannschaft wieder einbüsste. Kevin Mbabu besitzt nach wie vor unglaubliches Potential. Er bringt alle Anlagen mit, um einer der besten Aussenverteidiger der Bundesliga zu werden. Spektakel ist bei ihm vorprogrammiert, egal ob Dribblings, Flankenläufe oder akrobatische Tacklings: Mbabu bringt Elemente ins Spiel, die den neutralen Fussballfan begeistern. Technische Mängel und ein teilweise unzulängliches Stellungsspiel sorgen aber dafür, dass Mbabu nur ein Versprechen bleibt – zumindest vorerst. Kann er bei Wolfsburg den endgültigen Durchbruch schaffen und seine Schwächen konsequent bearbeiten, dürfte er den Weg zurück in die Nati-Stammelf ohne Probleme finden. Mbabu geht in den Planungen von Petkovic wohl als Nummer 2 auf der RV-Position ins EM-Jahr, hat aber noch die ganze Rückrunde Zeit, um Argumente für sich zu sammeln.
Jordan Lotomba, 22: OGC Nice
Jordan Lotomba fasste nach seinem Transfer zu Nizza sofort Fuss in der Ligue 1. Praktisch auf Anhieb wurde der ex-YB-Aussenläufer zum Stammspieler und lieferte extrem konstante und stabile Auftritte ab. Für seinen guten Start in Frankreich wurde Lotomba letzten Herbst im Testspiel gegen Kroatien (1:2) mit seinem Nati-Debüt belohnt. Seine Qualitäten liegen in der Geschwindigkeit, im Dribbling und – im Gegensatz zu Mbabu – in der sauberen Technik. Lotomba ist also ein hochmoderner Aussenverteidiger, der alles mitbringt, um sich europaweit einen Namen zu machen. Flink, wendig und frech in der Offensive, sehr verlässlich und stabil in der Defensive: Der junge Mann aus Yverdon-les-Bains dürfte mit seinem tollen Profil in den Überlegungen von Petkovic vor allem hinsichtlich der Zukunft eine grosse Rolle spielen. Mit 22 Jahren ist er nach wie vor entwicklungsfähig und könnte für die Schweiz zu einem absoluten Leistungsträger werden. Was zudem für ihn spricht, ist seine Polyvalenz: Lotomba kann nicht nur rechts, sondern auch links hinten spielen. An die EURO wird Lotomba hingegen – sofern alle gesund bleiben – wohl noch nicht mitkommen: Da er noch immer für die U21-Nati spielberechtigt ist, dürfte er vielmehr mit Mauro Lustrinellis Elf an die Nachwuchs-Europameisterschaft fahren.
In Lauerstellung
Silvan Hefti, 23: BSC Young Boys
Schon lange fordern viele Schweizer Fussballfans, dass Silvan Hefti endlich in die Nati berufen werden sollte. 2019/20 gehörte er als Captain des FC St. Gallen zu den besten Spielern der Super League und ein Nati-Aufgebot schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Nun, in den Diensten von YB, hat sich daran nicht viel geändert. Zwar fehlten bislang die ganz dominanten Auftritte für Gelb-Schwarz, doch Tatsache bleibt, dass Silvan Hefti alle Voraussetzungen mitbringt, um auch in der Nationalmannschaft ein Wörtchen mitzureden. Spritzig, giftig im Zweikampf und viel Power nach vorne: Hefti hat viel zu bieten und dürfte nur noch besser werden. YB hat sich in den letzten Jahren als ideales Sprungbrett für Schweizer Youngster bewiesen, und Hefti dürfte in ein paar Jahren der nächste sein, der in eine grosse Liga wechselt. Sein Problem ist einzig, dass ihm mit Widmer, Mbabu und Lotomba aktuell drei andere Spieler in der Nati vor der Sonne stehen. Sollte einer dieser Spieler länger ausfallen, ist der gebürtige Rorschacher wohl der erste in der Schlange, um sich mit dem Schweizerkreuz auf der Brust beweisen zu dürfen. Klar, eine Chance hätte er sich bereits nach der letzten Saison verdient, doch früher oder später wird Hefti für die Nationalmannschaft auflaufen – auch wenn noch nicht an der EM 2021.
© Keystone via bluewin.ch // Silvan Hefti in die Nati? Gefordert wird es von vielen Seiten.
Kevin Rüegg, 22: Hellas Verona
Der Captain der U21-Nati hat im letzten Sommer den Schritt vom FC Zürich in die Serie A gewagt. Eine ähnliche Entwicklung wie sie Jordan Lotomba nahm, blieb Rüegg jedoch bislang verwehrt. Mickrige sechs Pflichtspieleinsätze kann der stämmige Verteidiger in dieser Saison in Italien vorweisen. Dies ist insofern sehr schade, als Kevin Rüegg eigentlich zu den spannendsten Schweizer Spielern gehört. Kraft, Dynamik, Tempo und Durchsetzungsvermögen zeichnen den 22-Jährigen aus. Viele prophezeiten ihm eine rosige Zukunft und eine wichtige Rolle in der Nationalmannschaft. Von dieser ist Rüegg aktuell aber sehr weit entfernt. Um ein ernsthafter Kandidat zu werden, muss er vor allem regelmässig spielen. Spielpraxis hin oder her, er wird diesen Frühling an die U21-EURO reisen und dort vielleicht Argumente sammeln können, um bei Hellas endlich ein Faktor zu werden. Schafft Rüegg es, sich allen Widrigkeiten zum Trotz in der Serie A durchzubeissen, wird er sehr schnell auf dem Radar von Petkovic auftauchen. Dann ist für das FCZ-Eigengewächs alles möglich. Mittelfristig jedoch wird Rüegg von Petkovic nicht aufgeboten werden – perspektivisch ist mit ihm aber durchaus zu rechnen.
Die Aussenseiter
Saidy Janko, 25: Real Valladolid
Diesen Sommer schloss sich Saidy Janko Real Valladolid in der Primera Division an. In der letzten Spielzeit war das Kraftpaket von Stammklub Porto an YB ausgeliehen und hat dabei durchaus gefallen. Mit viel Energie nach vorne und viel Power nach hinten hat Janko gezeigt, dass er alle Komponenten hat, um ein erfolgreicher Aussenverteidiger zu sein. In Spanien läuft es dem gebürtigen Zürcher aber noch nicht wie gewünscht, doch auch hier gilt: Setzt sich Janko erst durch, dürfte er zumindest auf dem Nati-Radar erscheinen. Alles andere ist Stand jetzt aber nur mit viel Fantasie vorstellbar.
Cedric Brunner, 26: Arminia Bielefeld
Mit Cedric Brunner spielt seit dieser Saison neben Embolo, Sommer und co. ein weiterer Schweizer Bundesligafussball. Bei Bielefeld ist Brunner unumstrittener Stammspieler und hat sich durch starke Leistungen in der Aufstiegssaison ein grosses Standing im Klub erarbeitet. Aber ob es für mehr reicht? Zumindest jetzt lautet die Antwort nein. Brunner ist ein solider Spieler – mehr aber auch nicht. Nationalmannschafts-Träume sind eher utopisch. Das weiss auch Brunner selbst.
Numa Lavanchy, 27: FC Lugano
Eine erstaunliche Entwicklung hat FC Lugano-Flankenläufer Numa Lavanchy in den letzten Jahren genommen. Aktuell gehört er zu den besten Aussenverteidigern der Super League und glänzt mit viel Herzblut, Einsatz und Offensivdrang. Für die Schweizer Liga reicht Lavanchy mehr als genug und vielleicht belohnt er sich in naher Zukunft mit einem Wechsel ins Ausland zu einem mittelgrossen Klub. Ein Landesauswahlspieler wird aus dem quirligen Mann aber wohl keiner mehr werden – auch wenn das sicher viele Luganesi anders sehen!
Michael Lang, 29: Borussia Mönchengladbach
Michael Lang hat – gelinde gesagt – katastrophale Jahre hinter sich. Seit seinem Wechsel vom FCB machte er nur 21 Spiele für die Borussia und in den wenigsten gab er eine gute Figur ab. Unerklärlicherweise gehörte er auch 2020 zum Nati-Kader von Petkovic, der Langs Art und seine Routine schätzt. Doch klar ist, dass Michael Lang in der Nationalmannschaft nichts mehr verloren hat, solange sich seine Situation nicht dramatisch ändern sollte. 31 Länderspiele (drei Tore) hat der Ostschweizer auf dem Buckel – weitere dürfen (momentan) keine mehr dazukommen.