Kutesa und Sierro: Frischer Wind vor der EURO

Im ersten Nati-Aufgebot des Jahres finden sich zwei Neulinge wieder: Vincent Sierro und Dereck Kutesa. Zwei spannende Ergänzungen. Und ein Fingerzeig wenige Monate vor dem Start der Europameisterschaft in Deutschland.

Murat Yakins erstes Aufgebot im EM-Jahr 2024 birgt gleich zwei Überraschungen: Vincent Sierro (28) und Dereck Kutesa (26) sind beide erstmals nominiert. Nach dem unbefriedigenden letzten Halbjahr, mit nur einem Sieg aus sieben Partien, waren gewisse personelle Veränderungen schwer nötig. Zwar werden die beiden Debütanten kaum eigenhändig die Form der Nati wieder auf Vordermann bringen. Und doch bereichern sie das Team um neue Elemente, die den Handlungsspielraum des Trainers erweitern.

Ausserdem dient ihr Aufgebot als Fingerzeig vor der EM: Obwohl vor dem Turnierstart nicht mehr viel Zeit bleibt, die Phase des Ausprobierens und Tüftelns eigentlich schon längst vorbei ist, zeigt sich Yakin gewillt, doch noch frische Kräfte einzubauen. Und die Tür gemäss Leistungsprinzip auch für Neulinge nicht zu verschliessen. Ob damit im Coaching-Team auch das Eingeständnis einhergeht, dass während der vergangenen Qualifikationskampagne die bitter nötige Verjüngung und Auffrischung des Teams verpasst worden ist?

So oder so: Die beiden Nati-Neuzugänge haben beide ihre Berechtigung. Auf was dürfen sich die Fans freuen?

Vincent Sierro – als Ligue-1-Captain endlich in die Nati

Schon seit geraumer Zeit scheint Vincent Sierro immer irgendwo in der Nähe eines Aufgebotes zu sein. Mit YB gewann er Titel um Titel, war im Zentrum gesetzt. Und seit über einem Jahr verdient er sich seine Sporen in der Ligue 1 ab. Im Gespräch über Spieler, die dereinst einmal zu einer Option für Yakin werden könnten, fiel sein Name oft. Aber zu seinem Unglück verfügt die Schweiz auf seiner Position, im zentralen Mittelfeld, über reichlich Auswahl. Xhaka, Zakaria, Freuler, Sow und wie sie alle heissen, verunmöglichten lange Sierros Nati-Premiere. Nun aber ist es so weit: Mit reifen 28 Jahren schafft der Walliser auf dem Höhepunkt seines Schaffens endlich den lang ersehnten Sprung in die Schweizer Auswahl.

Sierros Nomination ist nur folgerichtig. Auch wenn im Mittelfeld nach wie vor kein wirklicher Bedarf besteht, verdient sich ein Spieler mit seinem Leistungsausweis fraglos eine Chance im Nationaltrikot. Im Winter 2023 wechselte Sierro einigermassen überraschend von YB zum FC Toulouse nach Frankreich. Im Nu eroberte er sich dort eine wichtige Rolle und wurde im letzten Sommer nach nur einem halben Jahr im Verein bereits zum Captain ernannt. Kurz zuvor half Sierro beim bis dato grössten Triumph der Vereinsgeschichte mit: Völlig unverhofft gewann Toulouse in der letzten Saison den Coupe de France, fegte im Final mit 5:1 über Nantes hinweg. Als Lohn folgte in dieser Spielzeit die fixe Qualifikation für die Europa League, wo sich Toulouse mit Sierro in tragender Rolle u.a. gegen Liverpool (3:2) durchsetzen und für die K.o-Phase qualifizieren konnte.

Jede einzelne Europa-League-Partie bestritt Sierro über die volle Dauer. Und auch in der Ligue 1 zählt er zum unbestrittenen Stammpersonal. Seit dem Jahreswechsel hat er nochmals ein neues Level erreicht, erzielte seit Januar bereits 5 Tore in Liga und Pokal. Mit abgeklärter Spielweise, Seriosität und gutem Spielverständnis hat sich der Spielmacher in die Herzen der Fans gespielt. Und wird in Toulouse allseits geschätzt. «Er ist unglaublich, wirklich aussergewöhnlich», kommentierte sein Mitspieler Yann Gboho anfangs März. Und auch sein Trainer Carles Martinez Novell stimmt in die Lobeshymnen mit ein. Angesprochen auf Sierros Einberufung in die Nati meint er: «Wir sind alle stolz auf ihn.» Stolz dürfte auch das Wallis sein, das erstmals seit Edimilson Fernandes (2016) wieder einen Nati-Debütanten stellt.

Dereck Kutesa – ein Profil, das die Nati braucht

Anders als Sierro hat Kutesa nicht das Argument von Spielpraxis auf Top-5-Niveau auf seiner Seite. Dafür aber ein anderes, das ihn genauso gut zum Nationalspieler qualifiziert. Nämlich jenes des Profils: Kutesa bringt Anlagen mit, die im modernen Fussball elementar wichtig sind. Die in der Schweiz aber nicht zuhauf zu finden sind. Gerade deswegen ist Kutesa, unabhängig davon, dass er nicht im Ausland unter Vertrag steht, eine valable Option. Der Genfer ist ein athletisch herausragender, kraftvoller Flügelstürmer, mit Qualitäten im physischen Bereich und im Dribbling. Bei Überraschungsteam Servette ist er unersetzlich, auch wenn das der nackte Scorer-Output nicht unbedingt vermuten lassen würde. 10 Torbeteiligungen (4 Tore, 6 Vorlagen) hat Kutesa in der laufenden Saison gesammelt. Ein guter Wert – aber keiner, der zwingend zu einem Nati-Aufgebot führen müsste.

Aber was Kutesa stark macht, sind nicht (nur) die Scorer-Werte. Sondern seine Spielweise. Seine Explosivität, seine Dynamik, seine Unberechenbarkeit im Eins-gegen-Eins. Auch wenn nicht jede Aktion gelingt, hie und da die letzte Abgeklärtheit oder Kaltblütigkeit fehlt, kann er jederzeit und in jeder Zone des Spielfelds Differenzen schaffen. Der Nati mangelt es seit geraumer Zeit an diesen Spielertypen. Und an Tiefgang, an Geschwindigkeit, an Flair in der letzten Zone.

Mit Dan Ndoye schaffte in den letzten Monaten ein Flügelspieler mit ähnlichen Fähigkeiten den Sprung in den Kern der Nati. Gerade als Joker hat er seinen Wert fürs Team bewiesen. Dass Yakin mit Kutesa nun über einen weiteren Angreifer verfügt, der über die Athletik und die Geschwindigkeit kommt, kann nur von Vorteil sein. Mehr Breite in der Offensive, eine Option mehr in der Hinterhand, ein nützliches Profil. Genau aus diesen Gründen macht Kutesas Nomination absolut Sinn.

Was geht noch bis zur EM?

Möglich, dass Yakins Experimentierfreude damit noch nicht gestillt ist. Auch Kutesas Servette-Teamkollege Alexis Antunes (23) steht auf seiner Liste, wurde erstmals auf Abruf aufgeboten. Wirkliche Chancen auf die EM darf sich dieser aber kaum ausrechnen. Dafür vielleicht aber andere: YB-Stürmer Joël Monteiro (24) hat sich gemäss dem SFV ebenfalls ins Blickfeld gespielt. Tatsächlich verfügt der wuchtige Angreifer über ein einzigartiges, hochattraktives Fähigkeitenpaket, kombiniert Wucht, Grösse und Durchschlagskraft mit Geschwindigkeit, Dynamik und Beweglichkeit. Ein Haken hat die Sache aber: Monteiro hat, obschon er im Wallis geboren ist, den Pass noch nicht. Der Prozess sei aber im Gange, lässt der SFV verlauten.

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