Silvan Widmer mischt mit Mainz die Bundesliga auf

Aktualisiert: 13. Jan. 2022

Silvan Widmer (28) hat sich nach seinem Wechsel zum 1. FSV Mainz 05 in der Bundesliga sogleich einen Namen gemacht. Auch für die Schweizer Nationalmannschaft ist er endlich unverzichtbar geworden. Es wird Zeit, dass wir Widmer und seine starke Entwicklung etwas genauer beleuchten.

Widmer, gebürtiger Aargauer, machte bei seinem Heimatverein zum ersten Mal auf sich aufmerksam: Im Sommer 2011 feierte er als 18-Jähriger unter René Weiler sein Debüt für den FC Aarau in der Challenge League. Das junge Eigengewächs überzeugte so sehr, dass er seinen Platz nicht mehr hergab – und direkt zum Stammspieler aufstieg. Im altehrwürdigen Brügglifeld sorgte der Rechtsverteidiger so sehr für Furore, dass ihn der spanische Erstligist Granada für knapp eine Million Schweizer Franken unter Vertrag nahm. Um weiterhin genügend Einsatzzeit zu geniessen, wurde er von den Andalusiern allerdings direkt wieder an den FCA zurückverliehen. In der Saison 2012/2013 spielte Widmer im Dress der Aarauer erneut gross auf und war an der Seite von Davide Callà, Artur Ionita oder Captain Sandro Burki ein wichtiger Erfolgsfaktor auf dem Weg zum Aufstieg in die Super League.

Aus der Challenge League in die Serie A

Am Ende jener Spielzeit kehrte er auf dem Papier zwar nach Granada zurück, doch in Realität zog es Widmer in ein anderes Land am Mittelmeer: Ohne je eine Sekunde für die Spanier auf dem Rasen gestanden zu haben, liess ihn Granada zu Udinese Calcio weiterziehen. Naturgemäss gab es für die Entscheidung des jungen Schweizers viele kritische Stimmen, schliesslich sind ähnliche Wechsel in Vergangenheit schon häufig nicht aufgegangen. Doch Widmer liess sich davon nicht beirren und kurz nach seiner Ankunft bei «Udine» feierte er in der Europa-League-Qualifikation sogleich seine Premiere. In der Liga musste er sich noch etwas länger gedulden, doch im November 2013 nominierte ihn der Trainer fürs Heimspiel gegen Inter erstmals für die Startelf. Als rechter Aussenläufer im damals typischen 3-5-2-System von Udinese konnte Widmer die Niederlage zwar nicht verhindern, doch als 20-Jähriger von einem gewissen Antonio Di Natale aufs Feld geführt zu werden, dürfte über das verlorene Spiel hinweggetröstet haben. Im weiteren Verlauf der Saison setzte sich Widmer auf der rechten Aussenbahn durch und zählte schon bald zu den Schlüsselspielern.

Auch in der neuen Saison ging es für ihn in Italien erfolgreich weiter, in der Spielzeit 2014/2015 absolvierte er über 3’000 Spielminuten in der Liga und war mit acht Scorerpunkten auch offensiv ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft. In dieser Periode wurde Widmer auch erstmals für die Schweizer Nati aufgeboten, sein Debüt folgte unter Vladimir Petkovic im Herbst 2014 gegen San Marino. Für Udinese beackerte der Dauerläufer die gesamte rechte Seite, entweder als klassischer Aussenverteidiger oder gar ein Stück weiter vorne als Flügel. Sportlich lief es «Le Zebrette» in den folgenden Jahren aber nicht mehr so rosig, der Verein musste sich je länger je mehr mit Klassierungen im unteren Tabellenbereich abfinden. Und so sehnte sich Widmer nach 142 Pflichtspielen für Udinese im Sommer 2018 nach einer neuen Herausforderung.

Ein Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen

Der FC Basel bot ihm genau diese an: Auf der Suche nach einem Nachfolger für den zu Gladbach abgewanderten Michael Lang, offerierten ihm die Basler einen Vierjahresvertrag. Für Widmer war der Wechsel zurück in die Schweiz eine Chance, sich in der Heimat zurück ins Schaufenster zu spielen. Obwohl er über jahrelange Erfahrung aus der Serie A verfügte, war er zum Zeitpunkt seines Wechsels kein fixes Kadermitglied des Nationalteams mehr, sowohl für die EURO 2016, als auch für die WM 2018 wurde er nicht aufgeboten. In Basel wollte er sich bei Petkovic aufdrängen und seine Qualitäten auf der internationalen Bühne beweisen. Ein Schritt zurück, um zwei nach vorne zu machen – der Plan ging wunderbar auf.

In seinen drei Jahren in Basel stieg Widmer zum Führungsspieler und Leistungsträger auf, sein starker offensiver Output und sein gutes Defensivverhalten machten ihn für Marcel Koller, Ciriaco Sforza und Patrick Rahmen unverzichtbar. In wettbewerbsübergreifenden 117 Partien für Rot-Blau gelangen ihm 26 Scorerpunkte (9 Treffer, 17 Vorlagen), das Highlight dabei war zweifellos der Cup-Sieg 2019. Ebenfalls unvergessen bleiben die starken Leistungen in der Europa League, 2019/20 stiess der FCB bis ins Viertelfinale vor und wurde erst von Shaktar Donezk gestoppt. So machte sich Widmer mit der Zeit auch wieder für Petkovic interessant, im Herbst 2020 folgte schliesslich sein Comeback – und seither ist er gesetzt.

Nach seinem Debüt 2014 reichte es in der Nati nur noch zu vereinzelten Teileinsätzen, von Juli 2017 bis September 2020 absolvierte er gar keine einzige Sekunde mehr mit dem Schweizerkreuz auf der Brust. Das änderte sich beim fantastischen 1:1-Remis gegen Deutschland in der Nations League, wo er endlich seine Rückkehr in der Nati feiern konnte. Widmer überzeugte dabei nicht nur mit Speed, Hartnäckigkeit und Einsatz, sondern ihm gelang in diesem prestigeträchtigen Duell auch sein erster Länderspieltreffer. Seither ist er aus dem Schweizer Ensemble nicht mehr wegzudenken und spätestens mit der Übernahme von Murat Yakin hat er seinem Konkurrenten Kevin Mbabu definitiv den Rang abgelaufen. An der EM im vergangenen Sommer war Widmer einer der zuverlässigsten Schweizer Akteure, und auch in der kürzlich abgelaufenen WM-Quali glänzte er: Sein Traumtor in Rom ebnete der Nati den direkten Weg an die Weltmeisterschaft – und das als Gruppensiegerin vor Europameister Italien. Bis dato steht der Verteidiger bei 27 Spielen im rot-weissen Trikot – eine Zahl, die in den kommenden Monaten weiter ansteigen wird.

Mainz 05: Wie die Faust aufs Auge

Nach seinen starken Leistungen an der EURO, meldete sich der FSV Mainz 05. Mit 28 Jahren im besten Fussballeralter angelangt, entschied sich Widmer zum Wechsel in die Bundesliga. Der Schweizer Sportchef Martin Schmidt und Trainer Bo Svensson wollten ihn unbedingt und konnten inn von der einzigartigen Klubphilosophie überzeugen. Ausgestattet mit einem Dreijahresvertrag, entwickelte sich der Schweizer von Beginn an zum absoluten Stammspieler. Svensson schickt seine Elf stets mit einer Dreierkette aufs Feld, Widmer kann in dieser Formation als rechter Aussenläufer all seine Qualitäten zum Tragen bringen. Von aussen betrachtet scheint der Klub und ihre Nummer 30 sportlich wie auch von der Mentalität her, wie füreinander gemacht zu sein. Es überrascht darum nicht, dass Widmer sowohl in der Bundesliga als auch im Cup bislang in jeder Partie von Anfang an ran durfte.

Insgesamt 20 Partien mit zwei Treffern und drei Torvorlagen stehen nach dem ersten Halbjahr in Deutschland zu Buche. Widmer ist allerdings nicht nur wegen seiner Scorerpunkte so wichtig, sondern auch aufrgund seiner unheimlichen Konstanz: Hinter Torwart Robin Zentner hat er von allen Mainzern am zweitmeisten Spielminuten in der Liga absolviert. Trotz der verkürzten Sommervorbereitung ist Widmer nach kurzer Zeit schon absoluter Fixpunkt im Mainzer Spiel. Auf der rechten Aussenbahn ist er extrem gut ins Aufbauspiel eingebunden, tatsächlich hat er die meisten Pässe seiner Mannschaft gespielt. Mehr als beachtlich für einen Schienenspieler, der erst recht noch in einer neuen Liga und in einem neuen Spielsystem aufläuft.

Mit seiner Energie und seinem Drive gestaltet er das Spiel der Mainzer aktiv mit und ist nach vorne ein steter Gefahrenherd – nicht zuletzt auch dank seinen langen Einwürfen. Mit einer Grösse von 1,83 m und einem austrainierten Körper, bringt der Rechtsfuss auch athletisch einiges mit. Darüberhinaus ist er vorzüglich in der Luft, 66% gewonnene defensive Kopfballduelle unterstreichen das. Auch in der Abwehrarbeit macht Widmer also vieles richtig und verhält sich sehr clever. Er ist stark im Zweikampf, scheut sich nicht vor Duellen und greift immer wieder zu gut getimten Tacklings. Das tolle Timing erklärt auch, warum er bislang noch keine einzige gelbe Karte gesehen hat. Ligaweit steht er bei den erfolgreichen Grätschen auf dem 5. Platz. Bei den geblockten Schüssen (47) thront er in Deutschland gar auf dem ersten Rang – überragend!

Dank des taktisch ausgeklügelten Systems von Coach Bo Svensson, erfreuten die Mainzer das Publikum in der Hinrunde mit einem äusserst erfrischenden Fussball. Der FSV befindet sich völlig zurecht auf einem guten 10. Tabellenplatz. Einen grossen Anteil daran hat Silvan Widmer, der die rechte Aussenbahn unermüdlich und mit viel Hingabe beackert. Es ist genau diese Einstellung und dieser Arbeitswille, den Trainer Svensson von seinen Spielern fordert. Sein Wunschneuzugang aus Basel verkörpert als hart arbeitender, mannschaftsdienlicher und abgeklärter Alleskönner die Mainzer Vereinskultur optimal und ist in Kürze zum Fanliebling und zur Identifikationsfigur aufgestiegen. Mainz und Widmer – es passt wie die Faust aufs Auge.

Erfreuliche Aussichten

Widmer wird im März 29 Jahre alt. Kann er seine hervorragende Form auch in der Rückrunde konservieren, könnte sich sein Traum von der Champions League doch noch erfüllen. Solch beharrliche, offensiv gefährliche und defensiv zuverlässige Aussenläufer seiner Klasse sind rar gesät und von Topklubs gesuchter denn je. Kann der FSV den Schwung aus dem Herbst in die zweite Saisonhälfte mitnehmen, wäre das internationale Geschäft auch für die Mainzer durchaus im Bereich des Möglichen. Privat fühlt sich Widmer zusammen mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Töchtern sowieso pudelwohl im Südwesten Deutschlands. Das familiäre Mainz bietet vielleicht auch genau jenes, was absolute Spitzenvereine nicht bieten können. So oder so: Widmer steht ein grosses 2022 bevor, an dessen Ende die Weltmeisterschaft in Katar wartet. Er hat bewiesen, für alle Aufgaben bereit zu sein!

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