Swiss Talent Watch: Aurèle Amenda – das neuste YB-Juwel

In der Serie „Swiss Talent Watch“ stellt Bolzplazz jeweils ein Schweizer Talent vor. Der 20. Beitrag ist Aurèle Amenda gewidmet.

Vor kurzem gaben die Young Boys bekannt, dass die erste Mannschaft Zuwachs erhält: Nachwuchsspieler Aurèle Amenda (18) unterschrieb einen Vertrag bis 2025 und soll ab der Rückrunde bei den Profis zum Einsatz kommen. Der Abwehrspieler steht damit stellvertretend für die gute Jugendarbeit, die in Bern geleistet wird, und reiht sich nahtlos in die immer länger werdende Liste von YB-Junioren ein, die das Gesicht der ersten Mannschaft prägen sollen: David von Ballmoos (27), Leandro Zbinden (19), Nicolas Bürgy (26), Lewin Blum (20), Sandro Lauper (25), Michel Aebischer (25), Fabian Rieder (19), Esteban Petignat (21), Nico Maier (21), Felix Mambimbi (20) und Yannick Toure (21) entsprangen allesamt der Berner Nachwuchsschmiede und stehen heute im Profikader des Schweizer Meisters.

Dass Amenda nun der nächste YB-Youngster ist, dem Spycher und das Trainerteam das Vertrauen schenken, ist keine Überraschung. Der gebürtige Bieler gehört seit geraumer Zeit zu den vielversprechendsten Talenten des Landes: Nicht nur ist der Innenverteidiger mit 18 Jahren schon Stammspieler in der U21, er ist zudem auch Captain der Schweizer U19-Nati. Amenda ist wie gemacht für diese Rolle: Als lautstarker Antreiber, der die Mitspieler von hinten dirigiert und die Abwehr eigenhändig ordnet und zusammenhält, besitzt er nämlich die nötige Aura und das nötige Selbstverständnis. Darüber hinaus ist Amenda bilingue aufgewachsen, nebst Deutsch spricht er auch Französisch – gerade als Anführer der Nati eine wichtige Eigenschaft.

Auch für die YB-Nachwuchsteams hat Amenda bereits die Binde getragen. Im vergangenen Herbst etwa führte er die Berner U19-Auswahl in der UEFA Youth League als Kapitän an und gehörte gegen die hochklassig besetzten Equipen aus Manchester, Bergamo und Villareal stets zu den besten Spielern auf dem Feld. Der Lohn: Der erste Profivertrag. YB-Sportchef Christoph Spycher schwärmte bei der Beförderung Amendas über dessen grosse Qualitäten: „Aurèle Amenda ist ein spannender Spieler mit herausragenden Fähigkeiten.“

Ist der Hype um den jungen Abwehrspieler gerechtfertigt? Wo liegen seine Stärken – und wo allenfalls seine Schwächen?

Spielerprofil: Bestechende physische Anlagen…

Beobachtet man Amenda, dann fällt eines sogleich auf: Seine Grösse. 1,94m misst der Innenverteidiger, womit er die meisten Gegenspieler seiner Altersklasse um ein bis zwei Köpfe überragt. Amendas Körper zieht sich aber nicht nur in die Länge, sondern auch in die Breite. Er hat breite Schultern, einen kräftigen, strammen Oberkörper und sehr viel Wasserverdrängung. Die physischen Voraussetzungen könnten für einen zentralen Abwehrspieler also kaum besser sein. Nebst seiner körperlichen Wucht, sticht auch ein weiteres Merkmal ins Auge: Seine Agilität. Trotz seiner Körpergrösse ist Amenda nämlich alles andere als ungelenk. Seine Bewegungen sind geschmeidig und geschickt, alles wirkt wie aus einem Guss. Junge Spieler, die früh einen starken Wachsstumsschub hatten, wirken oft steif und hölzern – bei Amenda ist davon aber nichts zu sehen.

Die bestechenden physischen Anlagen lassen sich um eine weitere Komponente ergänzen: Geschwindigkeit. Amenda ist erstaunlich schnell. Für einen modernen Innenverteidiger ist das ein grosses Plus. Auch hierbei agiert der 18-Jährige aber kontrolliert und abgeklärt, er sprintet nicht einfach ungestüm aus der Abwehr heraus, sondern sticht gezielt und mit guter Antizipation aus der Deckung hervor. So gelingt es ihm immer wieder, gefährliche Aktionen noch vor dem eigenen Sechzehner im Keim zu ersticken.

Diese Kombination aus körperlicher Stärke, Athletik und gutem Tempo verleiht Amenda ein vorzügliches physisches Gesamtpaket. Die natürlichen Anlagen, die er aufgrund seines Körperbaus einfach besitzt, weiss er sehr gut einzusetzen: Wenig überraschend ist Amenda enorm zweikampf- und kopfballstark, seine Gegenspieler schiebt er mühelos zur Seite. Sowohl aus dem Stand, als auch im Sprintduell gibt es so für seine Gegenspieler kaum einen Weg an ihm vorbei. Um Amendas schiere physische Stärke zu unterstreichen, blicken wir auf seine statistischen Werte aus der diesjährigen Youth-League-Kampagne der Berner U19. Auswärts gegen Manchester United (1:2) gewann er 100% (!) seiner Defensiv-Zweikämpfe, sowie 71% seiner Luftduelle. Ähnliche Werte produzierte Amenda auch in den restlichen Partien, auswärts gegen Villareal (3:3) konnte er 100% seiner Kopfballduelle für sich entscheiden. Überragende Werte!

…und Reife im Kopf

Der moderne Abwehrchef muss aber mehr können, als nur zu zerstören. Gerade die Spielauslösung ist heute essentiell. Amenda verspricht auch in diesem Bereich viel: Immer wieder greift er zu langen Bällen, seine Zuspiele kommen häufig zentimetergenau an. Die Fähigkeit, diese öffnenden, weiten Pässe punktgenau an den Mann zu bringen und so aktiv zur Spielgestaltung beizutragen, ist sehr gesucht. In der Schweiz hat Fabian Schär (30) dieses Stilmittel perfektioniert und sich mit seinen Laserpässen einen Namen gemacht. Ganz so weit ist Amenda freilich noch nicht, doch die Richtung stimmt.

Das junge YB-Talent hat in seinem Werkzeugkasten aber noch ein weiteres Instrument zur Spieleröffnung: Gerne setzt er zu Läufen mit dem Ball am Fuss an und trägt diesen bis weit in die gegnerische Hälfte. So gelingt es ihm, Räume für seine Mitspieler zu schaffen und unterstützt diese als „verkappter“ Sechser dabei, Lösungen fürs Offensivspiel zu finden. Solche Vorstösse, wie sie bspw. auch FCZ-Talent Becir Omeragic (19) gerne macht, sind nicht ganz risikobefreit. Verliert man den Ball in einem ungünstigen Moment, wird man gnadenlos ausgekontert.

Abgesehen von seiner Physis und seiner aktiven Teilnahme an der Spieleröffnung, verfügt Amenda über eine dritte grosse Stärke: Das Mindset. Der Hüne ist extrem abgeklärt, agiert zu jeder Zeit besonnen und souverän. Er lässt sich kaum je aus der Ruhe bringen und bleibt so auch in brenzligen Situationen Herr der Lage. Durch seine Coolness flösst er auch seinen Mitspielern Selbstsicherheit und Gelassenheit ein. Werden sie hektisch, können sie sich an ihm orientieren. Dieses Selbstverständnis, stets Ruhe zu wahren und immer zu wissen, was zu tun ist, spricht für seine grosse mentale Reife. Amendas hochprofessionelles Mindset ist beachtlich. Wenige 18-Jährige in der Schweiz sind psychisch wohl schon so weit wie er.

Dafür spricht auch, dass er sich nicht scheut, Verantwortung zu übernehmen. In der Youth League trat er auswärts gegen Villareal beim Stande von 2:3 kurz vor Schluss zum Elfmeter an – und verwertete souverän zum Ausgleich. Amenda strömt Leadership aus und fungiert für seine Teamkameraden als Anker. Besseres Captain-Material gibt es kaum. Das Potential des YB-Juwels ist also sehr gross, seine Anlagen extrem vielversprechend – und das auf allen drei Ebenen: Physisch, spielerisch, mental. Klar, Verbesserungspunkte gibt es. Die Technik wäre etwa einer davon, auch das taktische Verständnis kann und sollte noch geschärft werden.

Die Frage nach der Adaption

Die grosse Frage ist, wie schnell sich Amenda an die Profi-Wettkampfbedingungen gewöhnen kann. Im Juniorenbereich genoss er aufgrund seiner imposanten körperlichen Voraussetzungen viele Vorteile. Als wäre er eine Betonmauer, prallten die gleichaltrigen Gegenspieler einfach an ihm ab. Im Profifussball trifft Amenda nun aber auf gestandene, physisch stärkere Gegner. Gelingt ihm die Umstellung? Nicht selten bekunden junge Spieler, die während ihrer Juniorenzeit über bemerkenswerte körperliche Vorteile verfügten, beim Sprung in den Herrenbereich grosse Probleme. Verlässt sich Amenda nur auf seine Physis, wie er es in den U-Mannschaften aufgrund seiner schieren Überlegenheit tun konnte, dürfte er es schwer haben – denn sie alleine reicht nicht, um unter härteren Bedingungen zu bestehen.

Dem neuen YB-Talent im Rennstall und dem Trainerstab ist aber zuzutrauen, dass sie die richtige Balance finden können. Amendas grösste Stärke wird weiterhin seine Kraft und seine Zweikampfstärke sein, die – natürlich – seiner Physis zu verdanken ist. Es gilt nun, diese ohnehin vorhandenen Qualitäten für den Profifussball fit zu machen, und gleichzeitig das Augenmerk auf weitere Aspekte wie taktisches Verständnis, Technik und Raumbeherrschung zu legen. Gelingt das, dürfen sich die YB-Fans auf ein neues, hochspannendes Juwel in den eigenen Reihen freuen, das in naher Zukunft als Anker der Defensive unverzichtbar werden könnte.

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