Die Espen sind hervorragend in die Rückrunde gestartet und zeigen ein ganz anderes Gesicht als noch vor der Winterpause. Der Angriff schiesst derzeit Tore en Masse, doch den wohl grössten Anteil am Aufschwung des FCSG hat die neue Mittelfeldzusammensetzung. Ein Blick auf das neue Ostschweizer Prunkstück.
Dank zwei Offensivfeuerwerken gegen Lausanne-Sport und Servette, der famosen Aufholjagd gegen YB und einer konzentrierten Leistung gegen den FC Lugano, ist der FCSG mit sehr starken 10 Punkten ins neue Jahr gestartet. Mit 15 Treffern nach vier Ligapartien stellte der FC St.Gallen gar einen Startrekord in die zweite Saisonhälfte auf. Der Einzug in den Cup-Halbfinal rundet den überaus gelungenen Rückrundenstart ab und regt die Espen-Fans zum Träumen an.
Der Aufschwung des FCSG kommt insofern überraschend, als dass die vergangene Hinrunde ergebnistechnisch sehr enttäuschend verlief. Aufgrund der ungenügenden Ausbeute von nur 16 Punkten sahen sich die Verantwortlichen im Winter gezwungen, auf dem Transfermarkt aktiv zu werden. Unter der Ägide von Sportchef Alain Sutter, legten die St.Galler eine beispiellose Kaderumwälzung hin mit insgesamt sechs Neuverpflichtungen und vier Abgängen. Nach fünf absolvierten Partien lässt sich ohne Zweifel konstatieren, dass die frischen Gesichter die Erwartungen vollends erfüllen und die abgewanderten Spieler – allen voran Elie Youan, bester Torschütze in der Hinrunde – nicht vermisst werden. Sutter hat also alles richtig gemacht.
Besonders am Aufwind beteiligt ist das neu formierte Mittelfeld. Drei Zuzüge fürs Zentrum haben sich innert kürzester Zeit als transformativ für Zeidlers Equipe entpuppt – als Königstransfers, wenn man so will.
Jordi Quintilla – Der neue (alte) Dirigent des FCSG
Beginnen wir mit Jordi Quintilla (28). Der Spanier wechselte im vergangenen Sommer als Captain der St.Galler ans Rheinknie zum FC Basel. Die Aussicht auf internationalen Fussball und eine deutliche Gehaltserhöhung lockten ihn weg aus seiner Komfortzone. Doch schon bald wurde klar, dass Quintilla beim FCB keine tragende Rolle wird einnehmen können und nicht so recht ins Konzept des neuen Präsidenten David Degen passt. Der Deal wurde noch während Bernhard Burgeners Amtszeit eingetütet, Degen hatte keine Verwendung für ihn. Immerhin wurde das Quintilla auch so mitgeteilt, so dass er den Verein nach gerademal einem halben Jahr wieder verliess – und zum FCSG zurückgekehrt ist.
Wieder zurück im grün-weissen Umfeld, blüht der elegante Linksfuss richtig auf, wirkt regelrecht befreit. Als wäre er nie weggewesen, übernahm er direkt wieder das Zepter im Mittelfeld in seiner Paraderolle als Regisseur vor der Abwehr – und sogleich ging es sportlich bergauf. Einziges Manko: Eine rote Karte in der Partie gegen Lugano für einen rüden Tritt. Dieses Malheur ausgeklammert, wirken die Leistungen des Spaniers sogar deutlich stabiler als noch in der Vorsaison. Pass- und ballsicher wie eh und je, agiert Quintilla mit einer grossen Souveränität und ordnet das Pressing und das Aufbauspiel. Eine solche Figur wurde in der Hinrunde noch schmerzlich vermisst, Görtler wirkte als alleiniger Arrivierter im Mittelfeld überfordert. Die jungen Wilden können sich nun wieder an den Kommandos Quintillas orientieren und siehe da – die riskante Spielausrichtung der Espen ist wieder deutlich zielgerichteter und geordneter.
Neben der fussballerischen Klasse müssen bei Quintilla zwingend auch Aspekte neben dem Platz hervorgehoben werden. Obwohl die Captainbinde mittlerweile Lukas Görtler trägt, übernimmt auch Quintilla viel Verantwortung in der Kabine. Mit seiner Erfahrung tut er dem jungen St.Galler Kollektiv gut und ist zudem dank seiner Mehrsprachigkeit Anlaufstelle und Bindeglied zugleich.
Jankewitz und Toma – Zwei Schweizer Toptalente auf Leihbasis
Ebenfalls im Winter neu dazugestossen sind Alexandre Jankewitz (20) und Bastien Toma (22) – wenn auch nur auf Leihbasis bis zum Ende der Saison. Entweder teilen sich die beiden Youngster die Einsatzzeiten im linken Halbraum des Mittelfelds auf, oder Toma agiert als Zehner vor Jankewitz. Beide überzeugen bislang auf ganzer Linie und bereichern das St.Galler Spiel mit neuen Elementen. Benötigt Trainer Peter Zeidler etwa eine aggressive und physische Komponente im Spiel, stellt er Jankewitz auf. Liegt der Fokus auf Ballsicherheit und Pressingresistenz, steht Toma bereit. Diese Variabilität auf der Position – je nach Gegner und Spielverlauf – ist für den deutschen Übungsleiter ein Segen und mit ein Grund, warum die jüngst zurückliegenden Partien so erfolgreich verliefen.
Energiebündel Jankewitz, geliehen von YB, macht nicht nur durch seine spektakuläre Spielweise von sich reden, sondern findet auch Gefallen an Scorerpunkten. Bereits 3 Torvorlagen stehen in der Liga zu Buche und im Cup schoss er gegen Etoile Carouge gar seinen 1. Treffer im Profifussball. Seine Schnittstellenpässe und dynamischen, rohen Dribbelläufe machen zudem auch dem neutralen Betrachter Spass. Mit jeder Minute auf höchstem Niveau gewinnt Jankewitz an Erfahrung und reift weiter. Bereits jetzt hat der ehemalige Southampton-Nachwuchsspieler deutlich mehr Minuten in den Beinen, als in der gesamten Hinrunde bei seinem Stammklub. Das Leihgeschäft ist für seine persönliche Weiterentwicklung Gold wert und sportlich auch für die St.Galler ein absoluter Glücksgriff.
Gleiches gilt für Bastien Toma, der nach einer harten Zeit in Belgien beim KRC Genk nun wieder deutlich öfter sein Können unter Beweis stellen darf. Über 280 Spielminuten stehen für das Eigengewächs des FC Sion im Espen-Dress schon zu Buche – inklusive Tor beim Debüt gegen Lausanne-Sport. Besonders imponierend war Tomas Performance im Heimspiel gegen YB, denn mit der Einwechslung des Rechtsfusses kam die Wende gegen den Meister. Mit welch fussballerischer Brillanz Toma dem Spiel des FCSG neuen Esprit und die nötige Struktur verlieh, hinterliess nachhaltig Eindruck. Der Edeltechniker scheint wieder richtig Spass am Fussball gefunden zu haben.
Die beiden Westschweizer Talente vereint nicht nur die Qualität, in jedem Moment des Spiels für einen Geistesblitz oder einen Wow-Effekt im Publikum sorgen zu können, sondern sie kennen sich auch bestens aus den U-Auswahlen des SFV. An der letztjährigen U21-Europameisterschaft in Slowenien und Ungarn standen Toma und Jankewitz in 3 Partien gemeinsam auf dem Rasen und ergänzten sich schon dort exzellent: Körperlichkeit und Übersicht, Dynamik und Präzision.
Die Wiederauferstehung des Lukas Görtler
Die Neuzugänge hieven die Qualität der Espen auf ein ganz neues Level, doch Zeidlers Mittelfeld-Maschinerie würde ohne Lukas Görtler (27) nicht annährend so gut funktionieren. Seit Sommer 2019 ist der Deutsche die Konstante der Ostschweizer und als Mentalitätsspieler unverzichtbar. In seiner ganzen Zeit in der Schweiz verpasste er krankheits- oder verletzungsbedingt nur 2 Spiele. Seine Vertragsverlängerung bis 2026 ist zudem ein klares Statement, dass er sich eine langfristige Zukunft in der Ostschweiz sehr gut vorstellen kann.
Nach einer für seine Verhältnisse eher schwächeren Hinrunde, sind seine Auftritte nach der Winterpause wieder deutlich besser. Mit grossem Einsatz und Willen ist Görtler überall auf dem Feld anzutreffen und dient als verlängerter Arm von Zeidler. Nebst seinen gewohnten Stärken im Ausdauerbereich und in der Körperlichkeit, war er zuletzt auch mit dem Ball am Fuss entscheidend: Wettbewerbsübergreifend gelangen ihm in den zurückliegenden 5 Partien überragende 3 Treffer und 3 Torvorlagen.
Die neue Mittelfeld-Konstellation des FCSG harmoniert bislang also perfekt. Namen wie Quintilla, Jankewitz, Toma und Görtler sind für ein Team im unteren Mittelfeld der Tabelle und mit den finanziellen Möglichkeiten der St.Galler aller Ehren wert. Qualitativ braucht sich das grün-weisse Zentrum ligaweit vor niemandem mehr zu verstecken. Vor allem wenn man bedenkt, dass sich in der zweiten Reihe auch noch Akteure wie Betim Fazlij (22) oder Victor Ruiz (28) aufdrängen. Was passieren kann, wenn das Kollektiv von Peter Zeidler so richtig im Flow ist, hat man eindrucksvoll in der Saison 2019/20 gesehen. Eine erneute Vizemeisterschaft scheint zwar ausgeschlossen, aber die Attacke auf die Top 5 ist in der aktuellen Verfassung realistisch. Und dann wäre da natürlich noch der Cup, den die St.Galler nach der letztjährigen Finalniederlage gegen Luzern endlich in die Ostschweiz bringen wollen. Beim FCSG scheint alles angerichtet für einen tollen Frühling – angeführt von einem neuen, hochspannenden Mittelfeld.