«Apollo Barry», vom Fehlstart zur Rakete

Thierno Barry legt beim FC Basel eine rasante Entwicklung hin und gehört zu den spannendsten Stürmern der Super League. Was zeichnet den 1,95m-Hünen aus?

Thierno Barry (21) hat beim FC Basel einen hervorragenden Frühling erlebt. Seine Entwicklung verläuft so rasant, dass er gar bereits mit Premier-League-Klubs in Verbindung gebracht wird. Mit der Bezeichnung «Rakete» wurde Barry, der kurz zurvor Torschützenkönig in der 2. Liga Belgiens wurde, im Sommer 2023 in Basel zwar vorgestellt. Doch die Hinrunde war ein Fehlstart nach Mass. Direkt bei seinem Debüt handelte er sich eine rote Karte ein. Besser wurde es auch in den Folgemonaten nicht: Europa-Cup-Out, schlechte Resultate, unglückliche Darbietungen. Barry trat patzig und fehlerbehaftet auf – und verkörperte eine absolute Torimpotenz.

Der Unmut stieg, das Pech schien ihm an den Füssen zu kleben. Im Wintertransferfenster wurde bereits eine Leihe thematisiert. Doch er blieb in Basel. Und startete in der Rückrunde so richtig durch. 11 Tore und 4 Vorlagen gelangen ihm seit Ende Januar. Damit wurde er im Nu zur Schlüsselfigur in der FCB-Equipe. Aber mit welchen Qualitäten erobert Barry die Liga? Hier unsere Analyse.

Dominant in der Luft und brandgefährlich im Umschaltspiel

Aufgrund seiner Grösse (1,95m) ist der Franzose ein guter Ausweg für den FC Basel, um das Pressing des Gegners zu überspielen. Als Relais-Station versteht er es, lange Bälle mit seinem Kopf auf die nächstplatzierten Mitspieler abzulegen. Im datengestützten Quervergleich wird ersichtlich: Barry ist extrem dominant in der Luft. Kein Spieler (!) in der Liga bestritt in dieser Saison total mehr Kopfballduelle (298, 10.4 p/90) als er. Davon gewann er im Schnitt fast die Hälfte (49.3%) – auch das ein hervorragender Wert. Von allen Super-League-Mittelstürmern mit mindestens 1000 Spielminuten in dieser Saison gewann nur Silvere Ganvoula mehr Kopfballduelle (54.7%) als Barry. Ein weiterer Beweis dafür, wie aussergewöhnlich seine Klasse in der Luft ist.

Zu seiner Kopfballstärke kommen grosse Qualitäten im Umschaltspiel hinzu. In erster Linie ist hier seine Schnelligkeit zu nennen: Trotz seiner Grösse und Statur ist Barry sehr antrittsschnell und verfügt auch mit Ball über eine hervorragende Geschwindigkeit. Das erlaubt es ihm, in Kontersituationen als Ballschlepper das Spielgerät durch gegnerische Zonen hindurchzutragen und so Raumgewinn für seine Mannschaft zu erzielen. Hierbei profitiert Barry neben seiner Explosivität auch von überraschend feinen technischen Anlagen und viel Mut am Dribbling. In diesen Situationen helfen ihm zudem nicht-messbare, aber gerade für die Fans elementar wichtige Qualitäten: Einsatzfreude und Grinta. Unnachgiebig und mit hoher Intensität setzt er zu seinen Läufen an, geht mit Power ins 1vs1 und attackiert Gegenspieler im Pressing.

Wenn der FC Basel in der eigenen Hälfte verteidigt, wartet Barry oft lauernd auf Klärungsaktionen, um Bällen hinter die gegnerische Abwehrkette hinterherzujagen. In den daraus folgenden Duellen beweist Barry, dass er nicht nur gross und schnell, sondern auch robust und widerstandskräftig ist und sich sehr wohl auch mit Wucht durchsetzen kann. Gegen den FC St. Gallen (23. Runde) lauerte Barry in Zone 2 und nahm nach einer Klärungsaktion seiner Hintermänner Fahrt auf. Mit dem 1. Ballkontakt, weg vom Innenverteidiger und in die gewünschte Richtung, verschaffte er sich Platz. Im Laufduell schüttelte Barry dank seiner Körperlichkeit und seiner Geschwindigkeit seinen Bewacher endgültig ab, ehe er alleine Richtung Tor ziehen mit seinem schwächeren linken Fuss den Ball an Zigi vorbei ins Tor zirkeln konnte. (Video zur Aktion HIER).

Barry kann also auch mit seinem schwächeren linken Fuss abschliessen. Diese situative Beidfüssigkeit ist für jeden Stürmer ein grosser Vorteil. 4 seiner insgesamt 12 Pflichtspieltore in der abgelaufenen Saison –also immerhin ein Drittel – erzielte er mit links. In diesen Momenten beweist er auch eine Klarheit und Ruhe vor dem Tor, die ihm in der ersten Saisonphase noch schmerzlich gefehlt hat. Ein weiteres Muster dieser erfreulichen Entwicklung zeigte er im Spiel gegen Servette in Runde 32. Auch da hatte er nach einer Umschaltsituation nur noch den den Genfer Torhüter Mall vor sich. Nach einem perfekten 1. Kontakt in die Laufrichtung und einem kurzen Blick nach oben jagte er den Ball zwischen den Beinen des Keepers hindurch ins Netz. (Video zur Aktion HIER.)

Gespür eines Knipsers

In Anbetracht dieser Beispiele kann man zusammenfassen, dass Barry schnell, kopfballstark, abgebrüht vor dem Tor und als Ballschlepper sehr effektiv ist. Allerdings wurde bislang eine sehr wichtige Komponente im Stürmer-Spiel ignoriert: Nämlich, wie sich Barry positioniert, um in Abschlusssituationen zu gelangen. Das Codewort dazu lautet: Expected Goals (xG). Dieser Wert misst die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolgs, den ein Spieler anhand der Qualität (Entfernung und Winkel) seiner Abschlussposition erreichen kann. Jedem Abschluss kann so ein xG-Wert zugewiesen werden. Wer aus aussichtsreichen Positionen abschliesst, hat einen höheren xG-Wert – und ist tendenziell torgefährlicher, da er eben in genau jene vielversprechenden Situationen kommt. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Stürmer mit hohem xG-Wert eine überdurchschnittlich gute Knipser-Nase mitbringt (Positionierung, Laufwege, Gespür).

Anhand des Beispiels von The Athletic erstellen wir eine Tabelle, die die xG-Verteilung ausgewählter Super-League-Stürmer aufzeigt. Auf der Y-Achse ist der totale xG-Wert abgebildet, den ein Spieler pro 90 Minuten generiert. Auf der X-Achse ist der xG-Wert pro abgegebenem Schuss erischtlich. Also mit anderen Worten, wie wahrscheinlich ein Torerfolg pro Abschluss ist. Die «goldene Zone» in der Tabelle ist die obere rechte Ecke: Wer dort auftaucht, ist sehr torgefährlich und kombiniert einen hohen xG-Wert (viele gute Abschlusspositionen) mit einer starken Quote von xG pro abgegebenem Schuss.

Es wurden nur Stürmer mit über 900 Spielminuten berücksichtigt. Um Verfälschungen zu vermeiden, wurden nur Daten aus den Runden 1.-33. Runde verwendet, weil nach der 33. Runde die Super League in zwei Hälften aufgeteilt wurde (Stürmer aus der «Relegation Group» spielten in den letzten 5 Runden tendenziell gegen schwächere Gegner und könnten daher nach 38 Runden einen höheren, im Schnitt eben verfälschten xG-Wert aufweisen). Da wir die Positionierung von Barry im Spiel genauer anschauen wollen, wurden überdies nur Schüsse, die aus dem Spiel heraus entstanden sind, berücksichtigt.

Betrachten wir nun den entstandenen Graphen, lässt sich sagen, dass Barry ein überdurchschnittlich guter Stürmer ist, wenn es darum geht, aussichtsreiche Abschlusspositionen zu finden. Im Schnitt ist sein xG-Wert pro abgefeuertem Abschluss höher, als wenn ein durchschnittlicher Stürmer in der Super-League abschliesst. Ausserdem weist er einen überdurchschnittlichen xG-Wert pro 90 Minuten auf. Er kommt also in mehr und bessere Abschlusspositionen als die meisten Stürmer in der Liga. Vor allem im Vergleich zu den anderen Stürmern seines Alterssegments (blau eingefärbt) ist er deutlich besser darin, sich oft in gute Abschluss-Situationen zu bringen. Nur Kaly Sène ist besser, wenn es darum geht, einen qualitativ hochwertigen Schuss zu nehmen. Alle anderen Stürmer, die besser bewertet sind als Barry (weiter oben rechts platziert), sind mind. 2 Jahre älter als er. All das spricht für seine Qualität in jungem Alter. Und unterstreicht, dass noch viel Potenzial in ihm schlummert.

Wo wird «Apollo Barry» landen?

Zusammenfassend kann man sagen, dass Barrys Anlagen sehr vielversprechend sind. Dominanz in der Luft, tolles Gespür und Positionierung, Gefahrenherd im Umschaltspiel, Explosivität und Grinta, dazu sehr gross und relativ beidfüssig – sein Paket ist sehr früh schon sehr komplett. Das überrascht besonders, da er in Basel erst seine zweite Saison (!) auf Profi-Niveau absolviert. Vor seinen Stationen in Belgien und in der Schweiz spielte er für die 2. Mannschaft von Sochaux auf keinem vergleichbaren Level (6. Liga).

Angesichts seines Profils ist der Spitzname «Rakete» nicht so weit hergeholt. Sicher ist, dass er seine Karriere nicht in Basel beenden wird, auch wenn ihm mindestens eine weitere Saison in der Super League ganz sicher guttun würde. Die Frage ist nur, wann und auf welchen «Planeten» es «Apollo Barry» hinziehen wird.

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