Zu Beginn der Saison 2021/22 hat sich bei den Bianconeri einiges zum Positiven verändert. Dank dem neuen Klubpräsidenten und Eigentümer Joe Mansueto, welcher mit CEO Martin Blaser und Georg Heitz zwei erfahrene Leute an Board geholt hat, bieten sich den Tessinern nicht nur finanziell neue Möglichkeiten. Befeuert wurde die Aufbruchsstimmung zusätzlich durch eine bärenstarken Hinrunde, die dem neuen Trainer Mattia Croci-Torti zu verdanken ist. Wo führt das neue Projekt im Tessin hin?
Dass ein Schweizer Verein Verbindungen zu einem grösseren Klub aus dem Ausland hat, ist mittlerweile nichts Neues mehr. Begonnen hat der Trend mit Lausanne-Sport, das nach der Übernahme von Besitzerkonzern INEOS in ein “Farmteam” von OGC Nizza umgewandelt wurde. Die Franzosen senden ihre jungen Spieler leihweise zur Weiterentwicklung ins Waadtland und verkaufen diese danach weiter oder reintegtrieren sie wieder in den eigenen Kader. Lausanne erhält dafür talentiertes Spielermaterial, das es sonst kaum bekommen würde. Gerade in dieser Saison müssen sich die Verantwortlichen aber die Qualitätsfrage stellen: Sind diese jungen Nizza-Leihspieler gut genug, um die eigenen Ziele zu erreichen? Die Antwort auf diese Frage dürfte den Verantwortlichen nicht gefallen, zumal sie mit einem einfachen Blick auf die Tabelle geklärt ist.
Als der US-Amerikaner Joe Mansueto, Besitzer des MLS-Teams Chicago Fire, im August 2021 die Aktienmehrheit beim FC Lugano übernahm, sorgte dies verständlicherweise für einige Fragezeichen. Was will bitte ein amerikanischer Milliardär im Tessin? Zudem befinden sich Chicago und Lugano fussballerisch auf einer ähnlichen Ebene. Die Installation Luganos als eine Art Farmteam von Chicago Fire hätte daher kaum Sinn ergeben. Mansueto machte bei seiner Amtsübernahme im August denn auch klar, dass er andere Pläne vor Augen habe: Er sehe den FC Lugano als gleichwertigen Partnerverein an. Mansueto und Chicago Fire besitzen ein grosses, modernes Scoutingnetzwerk von globaler Reichweite. Mit dem Erwerb eines europäischen Vereins ergäben sich, gemäss seiner Aussage, in diesem Bereich wertvolle Synergien, die zum Wachstum beider Klubs genutzt werden könnten. Das Ziel sei es, dass Lugano langerfristig eine genug hohe fussballerische Qualität erreichen könne, um um die Meisterschaft mitzuspielen. Auf Papier klang das alles schon im letzten Sommer gar nicht übel.
Die Macher des Erfolgs
Und das erste Halbjahr bestätigte den ersten positiven Eindruck. Der ganze Verein reitet aktuell auf einer Erfolgswelle, deren Anfang in der Übernahme durch Mansueto lag. Sportlich setzen die Bianconeri in der Super League neue Massstäbe und stehen zur Winterpause auf einem starken 4. Platz, nur drei Punkte vom 2. Rang entfernt. Und auch neben dem Platz durfte gejubelt werden: Ende November konnte die Abstimmung über den Stadionneubau – für die Investoren ein Schlüsselprojekt – gewonnen werden. Die Stadionfrage ist für den Verein nämlich von existenzieller Bedeutung. Nicht nur genügt die marode Infrastruktur des altehrwürdigen Cornaredos nicht mehr den heutigen Ansprüchen, auch UEFA-Regularien können nicht eingehalten werden, was dazu führt, dass Lugano keine europäischen Spiele im eigenen Stadion bestreiten darf. Im schlimmsten Fall hätte Lugano gar mit einem zukünftigen Zwangsabstieg rechnen müssen, falls man aufgrund des schlechten Zustands des Stadions keine Super-League-Lizenz mehr erhalten hätte. Mit dem Ja zum neuen Stadion sind die Vereinsverantwortlichen die grössten Sorgen los – und können sich dem sportlichen Aspekt widmen.
Die Tessiner Erfolgsstory ist aber nicht nur auf Manuseto zurückzuführen. Vielmehr haben drei Figuren in den letzten Monaten mit ihrer Arbeit kontinuierlich dazu beigetragen, dass der FC Lugano plötzlich auf dem Weg zu einem nationalen Topteam ist:
Matta Croci-Torti
Im September wurde Mattia Croci-Torti, der seit Oktober 2018 als Co-Trainer bei den Tessinern tätig ist, zum Cheftrainer ernannt und legte einen beeindruckenden Start hin. Mit seiner lässigen, authentischen Art kam der gebürgte Tessiner bei den Fans und der Mannschaft von Beginn an enorm gut an. Der Fussball, den er spielen lässt, ist vielleicht weniger temporeich als jener des FC Zürich, weniger physisch dominant als jener der Young Boys und wartet mit weniger spektakulären Einzelaktionen als jener des FC Basel auf, ist aber sehr erfolgreich. Croci-Torti bewegte sich nach Jahren des auf Zerstörung ausgerichteten Defensivfussballs mit dem FC Lugano in eine proaktivere Richtung und implementierte erfolgreich einen neuen Stil. Die Luganesi stehen heute höher, wagen sich eher ins Pressing und suchen auch mit dem Ball in den eigenen Füssen Lösungen – ohne dabei die defensive Stabilität der Vergangenheit zu verlieren. Mit dem 4. Tabellenplatz (30 Punkte, 25:24 Tore) steht der FC Lugano nach der Hinrunde sehr gut da und hat bei weiterhin konstanten Leistungen eine realistische Chance, in der nächsten Saison international zu spielen – Hauptverantwortlicher dafür ist Croci-Torti.
Martin Blaser
Martin Blaser, der neu die Funktion des CEO ausfüllt und zum Verwaltungsrat gehört, ist Teil des Gremiums, das sich bei der Bestimmung des neuen Cheftrainers für Croci-Torti entschieden hat. Das fussballerische Geschehen auf dem Platz ist nicht sein Kerngeschäft. In der Vergangenheit war er unter anderem für den FC Basel tätig und kümmerte sich dort um die Bereiche Marketing, Verkauf und Business Development. Während seiner Zeit am Rheinknie arbeitete er mit Georg Heitz, dem dritten im Bunde, zusammen. Aufgrund der damals erfolgreichen Zusammenarbeit lotste Heitz ihn nun nach Lugano. Seine Erfahrung in den genannten Bereichen sind von grossem Wert. Der FC Lugano hat, vor allem auch durch das Schattendasein gegenüber dem HC Lugano, keinen einfachen Stand im Kanton. Das Interesse ist eher gering und die Zuschauerzahlen in den letzten Jahren, trotz sportlich soliden Leistungen, rückläufig.
Georg Heitz
Vervollständigt wird das Erfolgstrio von Georg Heitz, der als Sportdirektor des FC Basel einen grossen Anteil an den Erfolgen des Vereins zwischen 2007 und 2016 hatte. Mittlerweile ist Heitz als Sportdirektor bei Chicago Fire tätig und übernimmt in Lugano den Posten des technischen Direktors. Er beschäftigt sich vorwiegend mit der Zusammenstellung des Kaders und künftigen Transfers. Auf seine Fahne schreiben lassen darf er sich bereits die Zuzüge von Amir Saipi, Zan Celar, Mohamed Amoura, Hadj Mahmoud, Ignacio Aliseda und Maren Haile-Selassie. Anfangs Dezember gab Heitz in einem Interview mit Blue Sport bekannt, dass man in der Winterpause drei bis sechs Neuverpflichtungen anstrebe. Er wollte dieses Vorhaben nicht als “Grossangriff” werten, sondern sieht die Transfers als nötige Ergänzungen für den Kader, die im Sommer nicht mehr vorgenommen werden konnten, da nach der Übernahme Mansuetos nur noch zwei Wochen bis zum Ende der Transferperiode blieben.
Endlich ein neues Stadion
Das Stadio Comunale di Cornaredo, das nach dem gleichnamigen Stadtteil benannt ist, wurde im Jahr 1951 fertiggestellt. Somit ist es mit Abstand das älteste Stadion, in welchem aktuell Fussball in der Credit Suisse Super League gespielt wird. Die Anlage, die Platz für 6‘330 Zuschauer bietet, genügt den heutigen Anforderungen seit Jahren nicht mehr und ist aufgrund der Bauweise auch für den Zuschauer kein Vergnügen. Überdacht sind nur die beiden Haupttribünen entlang des Spielfeldes. Die Bereiche hinter den Toren, die lediglich aus grobschlächtigen Betonstufen bestehen, bieten bei schlechter Witterung keinerlei Schutz vor Niederschlägen und Kälte. Durch die Tartanbahn, welche die Distanz von den Tribünen zum Spielfeldrand wesentlich vergrössert, ist es zudem schwer, eine wirkliche „Fussballatmosphäre“ aufkommen zu lassen.
Am 28. November 2021 wurde über den Neubau eines Sport- und Eventzentrums abgestimmt. Das Projekt hatte in Lugano keinen leichten Stand. An der Notwendigkeit des Stadionneubaus zweifelte niemand, jedoch gaben das Finanzierungsmodell sowie der aktuell grosse Wohnungsleerstand in der Stadt Gesprächsbedarf. Die Privatpartner HRS und Credit Suisse sollen den Bau vorfinanzieren und die Sporteinrichtung danach an die Stadt vermieten. Ausserdem erhalten die beiden Privatpartner ein Baurecht für eine Dauer von 90 Jahren, das für die Realisierung von Immobilienprojekten verwendet werden kann. Die Abstimmung, bei der die Stimmbeteiligung bei beachtlichen 62.5% lag, konnte mit 56.8% Ja-Stimmen gewonnen werden. Auf Seiten des FC Lugano löste dies grosse Erleichterung aus, da wie bereits erläutert die Zukunft des Vereins von diesem Projekt abhängt.
Somit ist der Weg frei für ein modernes Fussballstadion, das rund 10’000 Zuschauern Platz bieten wird und zwischen 2023 und 2025 realisiert werden soll. Des weiteren beinhaltet das Projekt die Errichtung von vier Wohnblocks und zwei Türme, die von der Stadtverwaltung und Stadtbetrieben genutzt werden sollen. Das gesamte Quartier “Cornaredo” wird gänzlich umgestaltet und soll das neue Nordtor der Stadt Lugano bilden – was auch die Position des FC Lugano und seine Bedeutung für die Stadt verstärken soll.
Transfers in der Winterpause
Zum jetztigen Zeitpunkt sind bereits zwei Winterzuzüge fixiert, namentlich jene von Maren Haile-Selassie (von Neuchâtel Xamax FCS) sowie Igancio Aliseda (von Chicago Fire). Haile Selassie, der in der Super League bereits für den FC Zürich auflief, überzeugte in der Challenge League mit acht Torbeteiligungen in der Hinrunde und wird die Tessiner auf dem Flügel mit Speed und Dribblingqualität bereichern. Bei Chicago Fire sah man für Aliseda keine Zukunft mehr. Der kleingewachsene Angreifer wechselte im Februar 2020 aus der argentinischen Primera Divison (von Defensa y Justicia ) nach Chicago, konnte sich aber nie nachhaltig festspielen. Der 21-jährige Wirbelwind kann in der Offensive variabel eingesetzt werden und gefällt mit Tempo und Spielwitz.
Heitz bleibt nun ein ganzer Monat, um die weiteren angedachten Verstärkungen vorzunehmen. Da er ja höchspersönlich zwischen drei und sechs Zugänge angekündigt hat, wird in Lugano definitiv noch einiges gehen. Die Altersstruktur der Mannschaft ist alles andere als optimal, es darf damit gerechnet werden, dass U23-Spieler verpflichtet werden. Auch auf der Abgangsseite dürfte sich einiges tun: Torwart Noam Baumann, der seinen Platz an Saipi verloren hat, darf wohl gehen. Auch Luis Phelipe, Kévin Monzialo und Christopher Lungoyi scheinen im Tessin keine Zukunft mehr zu haben.
Wie das Gesicht der Bianconeri nach dem Ende der Wintertransferphase aussieht, ist schwer zu erraten. Aber klar ist: Die Erfolgsmacher schlagen neue Wege ein. Das ganze Konstrukt – von der höchsten Vereinsebene bis runter auf den Rasen – soll jünger, dynamischer und attraktiver werden. Die ersten Schritte sind gemacht und es darf bilanziert werden: Das neue Lugano-Projekt verspricht vieles – und hat einen Traumstart erlebt