Der FCZ hat völlig überraschend die Wintermeisterschaft gewonnen und hat plötzlich reelle Titelchancen – ein knappes halbes Jahr, nachdem nach einer weiteren enttäuschenden Saison der Umbruch ausgerufen wurde. Wieso stehen die Zürcher nach der Hälfte der Spielzeit auf dem 1. Platz? Wir suchen nach Erklärungen.
40 Punkte nach 18 Partien, beste Offensive des Landes (gemeinsam mit YB), zuletzt sechs Siege in Serie und Ungeschlagenheit in der Liga seit Ende September: Der FC Zürich hat einen goldenen Herbst erlebt, den besten seit Jahren. Selbst in der bis dato letzten Meistersaison 2008/09 stand der Stadtclub mit 42 Zählern nach 18 Spieltagen punktemässig nur marginal besser da als heute.
Kaum einer hätte so eine Entwicklung für möglich gehalten. In den letzten Jahren sorgte der FCZ sportlich kaum für positive Schlagzeilen. Der zwölffache Schweizer Meister präsentierte sich über weite Strecken der vergangenen drei Spielzeiten bieder, ideenlos und anfällig. Anspruch und Wirklichkeit des selbsternannten „Spitzenklubs“ klafften für lange Zeit auseinander. Anstatt Europa-Ambitionen hiess die bittere Realität im Letzigrund Abstiegskampf. Das hat sich nun aber schlagartig geändert. Plötzlich spielen die Stadtzürcher erfrischend auf, gewinnen Spiele am laufenden Band und dürfen sich völlig verdient Wintermeister nennen. Stand jetzt ist es dem FCZ absolut zuzutrauen, das Meisterschaftsrennen bis zum Schluss spannend zu gestalten – und wer weiss, vielleicht kann das Märchen ja tatsächlich zu Ende geschrieben werden…
Worauf fusst dieser plötzliche Erfolg? Oder anders gefragt: Warum steht der FCZ in der Tabelle aktuell da, wo er eben steht? Wir haben vier verschiedene Stützpfeiler des Zürcher Höhenfluges identifiziert:
1) André Breitenreiter
Logisch: Trainer André Breitenreiter (48) ist der Autor dieser Erfolgsgeschichte. Als Architekt der Wintermeisterschaft gebührt ihm allerhöchste Anerkennung. Der Deutsche Übungsleiter übernahm im Sommer das Ruder und hat den FCZ seither zu einem Spitzenteam transformiert. Breitenreiter brachte nach Jahren des Misserfolgs den so dringend benötigten frischen Wind in den Verein. Seine Verpflichtung darf als Coup bezeichnet werden, schliesslich hat er in der Vergangenheit in Deutschland bereits bewiesen, ein überaus kompetenter Trainer zu sein. Den SC Paderborn führte er 2014 zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in die Bundesliga, mit Schalke 04 erreichte er den Europapokal und auch mit Hannover 96 gelang ihm der Aufstieg ins Oberhaus.
Breitenreiter ist es gelungen, aus einem verunsicherten, instabilen Team eine Einheit zu formen, die forsch und lustvoll aufspielt. Er hat bereits abgeschriebene und ausgemusterte Profis wie Stürmer Assan Ceesay oder Verteidiger Mirlind Kryeziu reintegriert und zu Schlüsselspielern umfunktioniert. Er hat dem FCZ eine passende taktische Grundausrichtung verpasst, die sich an den Stärken der einzelnen Mannschaftsmitgliedern orientiert. Darüber hinaus geniesst er einen guten Ruf als Menschenfänger, der seine Spieler als seine Schützlinge versteht und ihnen nach besonders starken Auftritten auch mal zwei Freitage schenkt. Der ehemalige HSV-Stürmer ist der erste FCZ-Coach seit langem, der befreit von Stallgeruch (Ludovic Magnin, Massimo Rizzo) und dem Wissen, ein Experiment zu sein (Sami Hyypiä), seine Arbeit antreten konnte. Der Impact, den Breitenreiter auf den zuvor kriselnden Stadtclub gehabt hat, kann fast gar nicht überschätzt werden.
2) Herausragende Sommertransfers
Auch Sportchef Marinko Jurendic muss für seine tolle Arbeit gratuliert werden. Im Sommer leitete er einen personellen Umbruch ein, mit dem er voll ins Schwarze traf. So ist es nicht übertrieben zu sagen, dass der FCZ trotz der Investitionsoffensive aus Basel das erfolgreichste Sommertransferfenster hatte. Die beiden Aussenläufer Adriàn Guerrero und Nikola Boranijasevic haben das Offensivspiel über die Flügel auf ein neues Level gehoben und sorgen dennoch für ausreichend defensive Stabilität. Mittelfeld-Stratege Moritz Leitner, Defensiv-Allrounder Marc Hornschuh und der polyvalent einsetzbare Angreifer Akaki Gogia verstärken die Mannschaft in der Breite merklich. Mit dem kroatischen Edeltechniker Ante Coric hat man zudem weiter an spielerischer Klasse hinzugewonnen, mit dem letztjährigen Challenge-League-Torschützenkönig Rodrigo Pollero an Variabilität im Angriffsspiel.
Ohne Frage: Die Neuverpflichtungen haben das Niveau erhöht und allesamt bereits ihren Beitrag geleistet. Das Kader ist ausbalanciert und die individuelle Qualität so gross wie schon lange nicht mehr. Punktuelle Ergänzungen im Winter sind möglich, die Defensive und das Sturmzentrum könnten unter Umständen noch personelle Umwälzungen erfahren. Grundätzlich ist der FCZ mit den Sommerneuzugängen aber bereits hervorragend aufgestellt und nicht zuletzt dank der verbesserten Kadertiefe ein ernstzunehmender Titelkandidat.
3) Klare Strategie und Winner-Mentalität
Breitenreiter hat sich von Beginn an für eine 3-4-1-2-Formation entschieden und ist von dieser taktischen Grundausrichtung bis auf wenige kleinere Anpassungen nicht mehr abgerückt. Er lässt seine Spieler einen offensiv ausgerichteten, intensiven Fussball spielen, nach Ballgewinn wird schnell umgeschaltet und vertikal die Tiefe gesucht. Das Spielsystem ist perfekt auf den pfeilschnellen Ceesay zugeschnitten, der nun endlich seinen Stärken entsprechend eingesetzt wird und aufblüht. Auch Antonio Marchesano (Ideen- und Impulsgeber), Ousmane Doumbia (Balljäger und Umschaltspieler) und Adriàn Guerrero (laufstarker Aussenläufer, der Überzahl schafft) nehmen Schlüsselrollen im Zürcher Kollektiv ein. Während in den letzten Jahren unter Magnin kaum je eine Spielidee ersichtlich war und unter Rizzo vor allem Wert auf die Defensive gelegt wurde (wenn auch erfolglos), hat die Mannschaft nun endlich funktionierende taktische Leitplanken.
© Michael Buholzer
Nicht nur die Spielausrichtung hat sich verändert: Auch die Mentalität der Spieler ist heute eine andere. Der Begriff „Mentalität“ wird im Zusammenhang mit Fussball zwar inflationär verwendet, dennoch ist ein gewisser Wandel in der Haltung und im Selbsvertrauen der FCZ-Spieler ersichtlich. „Mentalität“ lässt sich zwar nicht messen, aber was sich mit Zahlen belegen lässt, ist die Tatsache, dass der Stadtclub erstaunlich oft nach Rückständen zurück in die Partie findet und das Spiel gar noch drehen kann. So geschehen gegen Luzern (3:1), GC (2:1) und St.Gallen (3:1). Gegen den FC Base (3:3) holte man gar dreimal einen Rückstand auf, auch wenn am Ende „nur“ ein Punkt dabei herausschaute. Diese Winner-Mentalität und Comeback-Qualitäten machen das neue FCZ-Selbstverständnis aus.
4) Assan Ceesay: Plötzlich Topscorer
Der gambische Stürmer galt jahrelang als Chancentod. Seine Beziehung zur Zürcher Fanbase war kompliziert. Doch in dieser Saison ist sein Knoten endlich gelöst und der 27-Jährige ist plötzlich zum Topscorer und Fanliebling aufgestiegen. Mit 11 Treffern und 6 Vorlagen in 17 Partien weist er hinter Miroslav Stevanovic (19 Scorerpunkte) und Arthur Cabral (18 Scorerpunkte) den drittbesten Scorerwert der Liga auf. Ein Edeltechniker wird der 1,88m-Schlaks zwar nicht mehr, aber seine Qualitäten liegen in anderen Bereichen. Ceesays grösste Stärke ist das hohe Tempo, das er in Breitenreiters neuem System endlich richtig einsetzen kann. In Kombination mit verbesserten Abschlussfähigkeiten und starken Bewegungen in der Box hat er sich zu einem der aktuell besten Angreifer der Liga entwickelt.