Losglück für die Nati: Analyse der Schweizer EURO-Quali-Gruppe

Am Sonntagmittag wurden die Qualifikationsgruppen für die Europameisterschaft 2024 in Deutschland ausgelost. Ein Blick auf die kommenden Gruppengegner der Schweizer Nati.

„Es gibt keine einfachen Gruppen“, sprach Nationaltrainer Murat Yakin nach der Auslosung in die TV-Mikrofone des SRF. Und doch dürfte auch er erleichtert sein über die Gruppe, die der Schweiz zugelost wurde: Israel aus Lostopf B (anstelle eines Brockens wie Frankreich oder England), Rumänien aus Lostopf C (statt die Ukraine oder Schweden), Kosovo aus Lostopf D (statt die Türkei oder Griechenland) sowie Belarus aus Lostopf E und Andorra aus Lostopf F. Einmal mehr wurden die Eidgenossen also von der Glücksfee begünstigt und dürfen – zumindest hinter vorgehaltener Hand – bereits mit der EM-Teilnahme planen.

Nicht nur ist die Nati auf Papier in Sachen Qualität deutlich über ihren Gruppengegner anzusiedeln, auch der Umstand, dass sich sowohl der Gruppenerste als auch der Gruppenzweite direkt qualifizieren, spielt der Schweiz in die Hände. Sollten alle Stricke reissen, bliebe der Nati zudem höchstwahrscheinlich immer noch der Fallschirm Nations-League-Playoffs.

Die Schweiz hat in den vergangenen Jahren grosse Entwicklungsschritte gemacht und leistet sich kaum mehr Ausrutscher gegen „kleine“ Gegner. Die Qualifikation für grosse Turniere ist mittlerweile keine Hoffnung mehr, sondern eine Erwartung. Das natürliche Selbstverständnis, jedes Spiel gestalten und gewinnen zu können, dürfte in dieser Gruppe eminent wichtig werden. Aber auf was genau müssen sich die Schweizer einstellen? Wir nehmen eine erste Analyse der einzelnen Gegner vor.

Israel: Annäherung an Europas Elite

  • Weltrangliste: 76. Platz
  • Letzter Vergleich: Schweiz-Israel 0:0 (2009)
  • Player to Watch: Manor Solomon (Fulham)

Die Israelis befindet sich zurzeit in einem Annäherungsprozess an Europas Elite. Im September diesen Jahres gelang ihnen der erstmalige Aufstieg in die Gruppe A der Nations League. Ungeschlagen setzte sich die Mannschaft von Alon Hazan mit 8 Punkten gegen Island und Albanien durch und darf sich nun ab 2024 mit Europas Bel-Etage messen. Ohnehin geschehen im israelischen Fussball aktuell interessante Dinge: Die U19-Auswahl stiess an der diesjährigen Europameisterschaft nach Siegen über Österreich und Frankreich bis in den Final vor, wo man sich England erst nach Verlängerung geschlagen geben musste. Die A-Nati darf sich nach der Auslosung der Qualifikationsgruppen ebenfalls Hoffnungen auf einen grossen Wurf und eine erstmalige Qualifikation für eine EURO machen. Platz 2 scheint nicht zuletzt dank einer potenten Offensive rund um Fulham-Flügel Manor Solomon und Valladolid-Knipser Shon Weissmann ein realistisches Ziel.

Rumänien: Wohin des Weges?

  • Weltrangliste: 53. Platz
  • Letzter Vergleich: Schweiz-Rumänien 1:1 (2016)
  • Player to Watch: Ionut Radu (US Cremonese)

Der Glanz vergangener Tage ist im rumänischen Fussball längst verblasst. Schwache Infrastruktur, Geldprobleme und undurchsichtige Strukturen sind die Gegenwart. Diese ungünstigen Voraussetzungen haben auch einen direkten Einfluss auf die rumänische Nationalmannschaft, die der Nati an der EURO 2016 noch ein 1:1 abgetrotzt hat. In diesem Herbst stiegen die Rumänen als Gruppenletzter aus der Nations-League-Gruppe B ab und werden fortan in der drittklassigen Gruppe C antreten müssen. Ein Problem ist gewiss die Qualität der Mannschaft: In der heimischen Liga tummeln sich zwar viele interessante junge Spieler, kaum je gelingt einem aber der Schritt aus der Komfortzone in eine grosse Liga. Im letzten Aufgebot der Rumänen finden sich gerade mal zwei Spieler, die in einer Top-Liga unter Vertrag stehen: Der vielversprechende Keeper Ionut Radu (Cremonese) und ex-Ajax-Mittelfeldspieler Razvan Marin (Empoli).

Kosovo: Der „kleine Bruder“ der Schweiz will hoch hinaus

  • Weltrangliste: 107. Platz
  • Letzter Vergleich: Schweiz-Kosovo1:1 (2022)
  • Player to Watch: Vedat Muriqi (Mallorca)

Auf die Schweiz wartet in dieser Qualifikationsgruppe eine ganz besondere Affiche: Gegen den Kosovo kommt es zum „Bruderduell“ und dem erstmaligen Vergleich in einem Pflichtspiel. Nicht nur zählt die Nati nach wie vor auf viele Spieler mit kosovarischen Wurzeln (Xhaka, Shaqiri, Imeri, Zeqiri, Jashari), auch umgekehrt vertraut der Kosovo auf etliche Profis, die in der Schweiz geboren und ausgebildet wurden. Auf dieser langen Liste zu finden sind u.a. etwa Torwart Arijanet Muric, die Verteidiger Fidan Aliti, Mirlind Kryeziu, Betim Fazliji und Florent Hadergjonaj, die Mittelfeldspieler Toni Domgjoni, Hekuran Kryeziu, Idriz Voca und Lorik Emini sowie die Angreifer Benjamin Kololli, Mersim Asllani und Shkelqim Vladi. Für viele Spieler auf beiden Seiten wird diese Begegnung also zu einer hochemotionalen Angelegenheit. Sportlich unterschätzen darf die Nati den Kosovo nicht – im Frühling erst bewies der Underdog beim 1:1 im Testspiel in Zürich, dass er ebenbürtig auftreten kann. Die starke Offensive rund um Vedat Muriqi und Milot Rashica dürfte in dieser Gruppe den Verteidigern einiges an Arbeit bereiten – und mit etwas Glück ihr Land vielleicht sogar in Richtung Platz 2 schielen lassen.

Belarus: Die grosse Unbekannte

  • Weltrangliste: 97. Platz
  • Letzter Vergleich: Schweiz-Belarus 1:0 (2017)
  • Player to Watch: Maks Ebong (FC Astana)

Auf politischer Ebene ist Belarus dank seiner diktatorischen Zustände zunehmend vom Westen isoliert. Das hat auch Einfluss auf die Situation des weissrussischen Fussballs. Die Nationalmannschaft muss ihre Heimspiele bis auf weiteres auf neutralem Boden austragen. Die belarussische Equipe ist mit vielen unbekannten Spielern bestückt, die zum grössten Teil in der heimischen Liga unter Vertrag stehen. Nur neun Legionäre zählt das letzte Aufgebot von Trainer Georgiy Kondratjev – angestellt in Russland, Polen, Kasachstan, Zypern und Aserbaidschan. Wertvollster Profi ist Mittelfeldspieler Maks Ebong, der bei Astana eine tragende Rolle einnimmt und ein Kandidat auf einen baldigen Wechsel in eine Top-20-Liga sein dürfte. Viele Spieler dieser Kragenweite hat Weissrussland aber nicht im Kader. Den Anschluss im europäischen Fussball hat man denn auch längst verloren, in diesem Herbst stieg die Landesauswahl in der Nations League aus der dritt- in die vierthöchste Liga ab und muss sich fortan mit San Marino, Liechtenstein und co. messen.

Andorra: Ewiges Kanonenfutter?

  • Weltrangliste: 151. Platz
  • Letzter Vergleich: Schweiz-Andorra 3:0 (2017)
  • Player to Watch: Iker Alvarez (Villareal B)

Seit vielen Jahren wird Fussballzwerg Andorra zu den schwächsten Teams der Welt gezählt. In Europa hat der Mikrostaat in jüngerer Vergangenheit aber kleine Sprünge nach vorne gemacht. In der Weltrangliste steht man so mittlerweile mit teilweise grossem Abstand vor den „Rivalen“ aus Malta, Gibraltar oder Moldawien – und nur wenige Plätze hinter Litauen und Lettland. Seit 2018 gelangen Andorra Remis gegen Kasachstan (2x), Georgien, Albanien, Lettland und die Emirate – sowie Siege gegen Liechtenstein (3x), Moldawien, San Marino, Grenada und St.Kitts/Nevis. Nicht übel für ein Land mit weniger als 80.000 Einwohner! Im Tor steht mit Iker Alvarez ein junger Keeper aus dem Nachwuchs von Villareal, vorne wirbelt der 20-jährige Albert Rosas, der in acht Länderspielen bereits auf zwei Treffer kommt. Ob Andorra auch dem ein oder anderen Team aus der Schweizer Gruppe ein Bein stellen wird?

Ein Blick in die Glaskugel…

Alles andere als Platz 1 wäre für die Schweiz eine Überraschung – und ohne Zweifel eine herbe Enttäuschung. Doch die Nati wird sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und gewohnt stilsicher ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Hinter der Schweiz bahnt sich ein Dreikampf um den zweiten direkten Qualifikationsplatz an – wobei Israel aktuell als Favorit gelten muss. Aber auch mit dem talentierten und hungrigen Kosovo ist zu rechnen, dem gegen alle Gruppengegner gute Resultate zugetraut werden können. Schliesslich wird sich auch Rumänien Hoffnungen auf den 2. Rang machen, ist in Sachen Qualität und Form aber aktuell hinter Israel und dem Kosovo zu setzen.

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