In den kommenden Tagen versammelt Murat Yakin die Schweizer Nationalmannschaft zur ersten Zusammenkunft der neuen Saison. Welche Spieler kommen in Frage für ein erstmaliges Nati-Aufgebot?
Zum letzten Mal vor dem Beginn des WM-Camps im November kommt das Schweizer Nationalteam in der nächsten Woche zusammen. Auf dem Programm stehen die Nations-League-Partien gegen Spanien (24.9) und Tschechien (27.9) – die nicht nur sportlich relevant sind, da über Klassenerhalt oder Abstieg der Schweiz entschieden wird, sondern auch als Hauptprobe für Qatar dienen. Für Trainer Yakin bieten diese Spiele die letzte Gelegenheit, vor dem Start des WM-Abenteuers nochmals Neues zu versuchen. Gut möglich daher, dass in seinem Aufgebot der ein oder andere Neuling zu finden sein wird. Aber welche Spieler kämen dafür in Frage? Wir haben 10 Kandidaten zusammengetragen, die sich zuletzt für ein Nati-Debüt aufgedrängt haben.
Der Blick in die Super League
Murat Yakin hat in seiner einjährigen Amtszeit bereits bewiesen, keinerlei Berührungsängste mit der Super League zu haben. Während in der Ära Petkovic der wichtigste Faktor für ein Nati-Aufgebot eine Anstellung in einem ausländischen Klub war, scheut sich Yakin keineswegs, auch Spieler aus der heimischen Liga zu nominieren. So geschehen etwa mit Cédric Zesiger, Ulisses Garcia, Sandro Lauper, Kastriot Imeri, Mattia Bottani, Leonidas Stergiou, Zeki Amdouni und natürlich der spektakulären Rückholaktion von Fabian Frei. Auch in diesem frühen Herbst lohnt sich ein Blick in die Super League, schliesslich haben so einige interessante Spieler den Saisonstart für reichlich Eigenwerbung genutzt.
Fabian Rieder – Der logische nächste Schritt
Seit ihm Gerardo Seoane im Herbst 2020 zum Debüt in der 1. Mannschaft der Young Boys verhalf, entwickelte sich Fabian Rieder (20) im Eiltempo zum Schlüsselspieler – und zu einem der aufregendsten Youngster der Liga. Völlig zurecht wird der Solothurner zu den talentiertesten Schweizer Spielern seiner Generation gezählt. Im Mittelfeldzentrum glänzt er als Spielgestalter mit technischer Klasse, Spielintelligenz und grossartiger Übersicht. Mit seinem feinen Füsschen sorgt er überdies als Standardschütze für viel Gefahr. Fabian Rieders Weg wird über kurz oder lang in die A-Nationalmannschaft führen, so viel ist klar. Aber ob er bereits jetzt eine Alternative sein kann? Wer ihn in dieser noch jungen Saison hat spielen sehen, muss fast zwangsläufig bejahen.
Rieder ist unter Neo-YB-Coach Raphael Wicky der nächste Entwicklungsschritt geglückt, er hat noch einmal merklich an Präsenz und Konstanz dazugewonnen. Gerade offensiv wirkt der U21-Internationale gefährlicher als in der Vorsaison, seine Bilanz von 4 Scorerpunkten in 8 Liga-Partien untermauert das. Mit grossem Spielwitz und viel Leichtigkeit begeistert Rieder in dieser Phase das Berner Publikum. Ein baldiges Nati-Aufgebot ist nichts anderes als der logische nächste Schritt. Und das nicht nur, weil er mit seinen Qualitäten der Schweiz sofort weiterhelfen kann. Nicht zu vernachlässigen ist nämlich auch, dass die Mittelfeld-Platzhirsche Xhaka (29) und Freuler (30) nicht jünger werden – je eher Rieder also Einlass in die Nati gewährt wird und er Erfahrungen auf internationalem Level sammeln kann, desto besser.
Ardon Jashari – Luzerns Senkrechtstarter ist auf Yakins Radar
Im vergangenen Winter debütierte Ardon Jashari (20) unter Mario Frick in der Super League. Heute ist er Kapitän des FC Luzern und wird als „Next Big Thing“ gehandelt. Jasharis Bilderbuchaufstieg verlief in Rekordzeit – und könnte schon bald um ein weiteres Kapitel bereichert werden. Wie die Luzerner Zeitung in dieser Woche schrieb, soll sich Murat Yakin intensiv mit dem Toptalent auseinandergesetzt und ihn zuletzt immer wieder beobachtet haben. Gut möglich also, dass Jashari für seine überragende Entwicklung belohnt und in die Schweizer A-Nati berufen wird. Auch strategische Gründe könnten dabei eine Rolle spielen: Jasharis starke Leistungen haben auch den kosovarischen Verband auf den Plan gerufen. Um einen Verlust zu verhindern würde es daher Sinn ergeben, ihn so bald wie möglich an den SFV zu binden.
Aber kann Jashari auch spielerisch bereits eine Hilfe sein? Immerhin verfügt er erst über ein halbes Jahr an Profierfahrung. Diese Frage lässt sich nur schwer beantworten. Doch was gesagt werden kann, ist dies: Jashari besitzt sehr grosses Potential und wurde nicht umsonst mit der Armbinde betraut. Von Ballführung über Passstärke bis hin zu phänomenalem Spielverständnis – der Sechser hat alles, um dereinst einmal ein ganz Grosser zu werden. Im Mittelfeldzentrum strahlt der 20-Jährige eine eindrückliche Präsenz aus und schwingt das Zepter wie ein altgedienter Routinier. In Windeseile ist Jashari zum Hirn und Herz des Luzerner Spiels aufgestiegen. Ähnlich wie bei Rieder gilt somit auch in seinem Fall: Je schneller Ausnahmetalente wie er ans Nati-Level herangeführt werden, desto besser.
Die Wildcards aus Basel, Sion und Bern
Hinter Rieder und Jashari haben wir drei weitere Kandidaten aus der Super League identifiziert, die mit Bestimmtheit auf Murat Yakins Notizblock zu finden sind: Da wäre einerseits Basels Flügelstürmer Dan Ndoye (21). Der explosive, dribbelstarke Aussenbahnspieler findet sich in seinem zweiten Jahr am Rheinknie immer besser zurecht und ist nach einem individuell starken Saisonstart gut drauf. 6 Scorerpunkte (3 Tore, 3 Assists) sind ihm in der Liga und im Europacup bereits geglückt – womit er mehr als die Hälfte seiner Marke aus der Vorsaison (11 Torbeteiligungen) schon nach einem Bruchteil der Zeit erreicht hat. Sein Speed und sein Flair könnten die Schweizer Offensive bereichern. Auch Petkovic sah in Ndoye viel Potential und bot ihn im Sommer 2021 für ein Trainingslager auf – zum Einsatz kam der Angreifer damals aber nicht. Ob sich das in diesem Herbst ändern wird?
Ein zweiter Name, der es in naher Zukunft auf Yakins Liste schaffen könnte, ist Sion-Stürmer Filip Stojilkovic (22). Der gebürtige Zürcher erlebt im Wallis trotz des Hypes um seinen Konkurrenten Mario Balotelli einen erfolgreichen Saisonstart, nach 8 Einsätzen steht der U21-Nationalspieler bereits bei starken 6 Scorerpunkten (4 Tore, 2 Vorlagen). Stojilkovic ist ein bulliger, durchsetzungsstarker Mittelstürmer, der mit guten Bewegungen und Läufen auffällt. Der frühere Hoffenheim-Junior mag kein begnadeter Techniker sein, überzeugt aber durch Kampfgeist und Einsatzwille. Tugenden, die in Sion gut ankommen – und die auch in der Nati sicher nicht fehl am Platz sind.
Ein weiterer Super-League-Akteur mit Nati-Potential läuft seit diesem Sommer für den BSC Young Boys auf. Die Rede ist von Filip Ugrinic (23), der genau wie Jashari der Nachwuchsabteilung des FC Luzern entsprang. Sein Wechsel in Millionenhöhe zum Schwergewicht aus Bern sorgte für viel Gesprächsstoff, nicht wenige Kenner zählen den Transfer zu den Vielversprechendsten des Sommers. Der flexibel einsetzbare Mittelfeldspieler gehörte in der abgelaufenen Saison mit 17 Scorerpunkten (9 Toren, 8 Vorlagen), viel Wucht, technischer Klasse und Zweikampfhärte zu den auffälligsten Spielern des Landes. Bei YB fand Ugrinic sofort den Tritt, nach 5 Super-League-Einsätzen steht er bereits bei 3 Scorerpunkten (1 Tor, 2 Assists), dazu liess er sich auch im Cup als Torschütze feiern. Geht seine Entwicklung im gleichen Stil weiter, wird er über kurz oder lang im Kreise der Nati anzutreffen sein.
Der Blick ins Ausland
Auch im Ausland tummeln sich interessante Schweizer Spieler, die auf ihre Chance in der Nati warten. Von vielen Fans seit langem gefordert wird Antwerpen-Sturmtank Michael Frey (28). Der 1,90m grosse Heisssporn knipste in der letzten Saison wie er wollte, mit 24 Treffern schrammte er nur knapp an der belgischen Torjägerkrone vorbei. Auch in der neuen Spielzeit lief es Frey mit 4 Toren in den ersten 5 Spielen anfänglich wie geschmiert – dann zog er sich Ende August aber eine Wadenverletzung zu und ist seither zum Zuschauen verdammt. Nomination hin oder her – verletzungsbedingt würde Frey der Nati ohnehin nicht zur Verfügung stehen.
Zwei Unbekannte machen sich in grossen Ligen einen Namen
Zwar mag das Ansehen der Super League unter Yakin gestiegen sein, doch natürlich ist Spielzeit in einer Top-Liga weiterhin ein wichtiges Kriterium für ein Nati-Aufgebot. In diesem Sommer sind zwei hierzulande eher unbekannte Schweizer Spieler in eine solche Top-Liga gewechselt – und sammelten seit dem Saisonstart reichlich Spielpraxis. Aus Portugal wechselte Charles Pickel (25) zu Serie-A-Aufsteiger US Cremonese. Dort setzte sich der agile, lauf- und kampfstarke defensive Mittelfeldspieler auf Anhieb durch und bestritt sämtliche Partien von Beginn an. Zwar wartet Cremonese noch auf den ersten Saisonsieg – doch Pickels Leistungskurve stimmt. Dass er sich trotz starker Konkurrenz im Zentrum (u.a. Santiago Ascacibar, Soualiho Meité, Gonzalo Escalante oder Tommaso Milanese) sogleich behaupten konnte, spricht für seine Qualität.
Noch erstaunlicher als die Causa Pickel ist die Geschichte von Kevin Spadanuda (25). Der trickreiche Flügelstürmer wechselte in diesem Sommer aus der Challenge League in die Ligue 1, wo er sich dem korsischen Aufsteiger AC Ajaccio anschloss. Schon der Schritt aus der Super League in eine Top-Liga entpuppt sich oftmals als zu gross – von der Challenge League ganz zu schweigen. Und doch scheint sich Spadanuda in Frankreich ohne grosse Anlaufschwierigkeiten eingefunden zu haben, der Angreifer stand in sämtlichen Partien auf dem Rasen, dreimal gar bereits in der Startelf. In der letzten Saison gelangen ihm für den FC Aarau herausragende 24 Scorerpunkte (18 Tore, 6 Vorlagen), in der Ligue 1 wartet er noch auf eine erste Torbeteiligung. Sammelt er neben Spielpraxis aber auch noch Scorerpunkte, wird Spadanuda fast zwangsläufig auf Yakins Radar auftauchen…
Duah, Muheim, Hefti – Starke Leistungen in der zweiten Liga
Nicht nur die höchsten ausländischen Ligen eignen sich als Schaufenster für Nati-Neulinge. Auch bei tollen Leistungen in einem Championat wie der 2. Bundesliga oder der Serie B darf man sich berechtigte Hoffnungen auf eine Nomination machen. Drei in einer solchen Liga angestellte Schweizer stechen aktuell besonders heraus: Da wäre etwa Sturm-Rakete Kwadwo Duah (25), der nach seinem tollen letzten Jahr in St.Gallen (15 Tore) nach Deutschland zum FC Nürnberg wechselte. Dort ist dem pfeilschnellen Angreifer ein Start nach Mass geglückt, bereits 3 Saisontore konnte er verzeichnen. Yakin hält viel von Duah, im Frühjahr setzte er ihn zum ersten Mal auf die Abrufliste. Angesichts der Formtiefs von Seferovic und des überraschenden Rücktritts von Gavranovic sowie der Verletzung von Frey, könnte er der Nutzniesser sein.
Fragt man nach der grössten Baustelle im Schweizer Team, so lautet die Antwort meist „hinten links“. Tatsächlich verfügt die Nati über keinen Linksverteidiger von internationalem Format, Ricardo Rodriguez (30) ausgenommen. Doch dem Torino-Legionär fehlt der nötige Speed in der Vorwärtsbewegung und ist in letzter Zeit auch bei seinem Verein immer öfter als Innenverteidiger aufgelaufen. Ein möglicher Hoffnungsträger ist Miro Muheim (24). Der frühere Chelsea-Junior hat sich in der 2. Bundesliga beim Hamburger SV zum diskussionslosen Stammspieler gemausert und wird von Coach Tim Walter sehr geschätzt. Seine Entwicklung wird Yakin mit Sicherheit genaustens beobachten.
Auf der rechten Abwehrseite hat die Schweiz hingegen ein Luxus-Problem. Silvan Widmer (29) ist die erste Wahl, dahinter tummelt sich mit Kevin Mbabu (27) und Jordan Lotomba (23) geballte Qualität. Es ist diese grosse Konkurrenzsituation, die bis dato verhindert hat, dass Silvan Hefti (24) eine Chance in der Nati erhalten hat. Seit Januar verteidigt er für Genua und hinterliess in der Serie A trotz Abstieg einen guten Eindruck. In der Serie B gehört Hefti nach einem Kaderumbruch nun zu den Schlüsselspielern, jüngst gelang ihm gar sein erstes Tor für den Verein. Auch er wurde im Frühling erstmals auf die Abrufliste gesetzt. Aber für mehr dürfte es (noch) nicht reichen. Verletzt sich jedoch einer seiner Konkurrenten, steigen seine Chancen auch im Hinblick auf die WM drastisch.