Transfer Review: Li Lei zu GC – Mehr als nur ein Marketingstunt?

Die Schweizer Vereine stecken inmitten der Transferphase. In unserer neuen Rubrik Transfer Review blicken wir jeweils auf einen Super-League-Neuzugang. Im 4. Beitrag stellen wir mit Li Lei einen exotischen Zuzug des Grasshopper Clubs Zürich genauer vor.

Eines vorweg: Akteure aus China sind in der höchsten Schweizer Spielklasse wahrlich eine Rarität. Mit Jun Shi gab es bislang erst einen einzigen Spieler chinesischer Herkunft, der in der Super League auflief. Der Stürmer war zwischen 2005 und 2008 für die Young Boys und den FC Luzern aktiv. Linksverteidiger Li Lei (29) ist nach seinem Wechsel zu den Grasshoppers also erst der zweite Fussballer aus dem bevölkerungsreichsten Landes der Welt, den die Super-League-Fans bestaunen dürfen. Aufgrund der chinesischen Besitzverhältnisse von GC kommt der Transfer allerdings nicht sehr überraschend. Mit Hayao Kawabe (26) und den beiden Winterneuzugängen Ayumu Seko (21) und Sang-bin Jeong (19) stehen zudem zwei Japaner und ein Südkoreaner im Kader des Rekordmeisters. Die Verantwortlichen werden den Fokus wohl auch künftig vermehrt auf den asiatischen Markt richten.

Gute Laufbahn in Fernost

Für Lei bedeutet der Schritt nach Europa eine grosse Umstellung, wie viele andere chinesische Spieler verbrachte er nämlich bis dato seine gesamte Karriere in der Heimat. 162 Matches in der Chinese Super League hat er auf dem Buckel. Ab 2015 stand er bei Beijing Guoan unter Vertrag, einem grossen Verein aus der Hauptstadt. Im Zuge der grossen Finanz- und Transferoffensive des chinesischen Fussballs, spielte Lei in Peking zeitweise mit Grössen wie Renato Augusto, Jonathan Viera oder Jonathan Soriano zusammen und teilte sich zudem bis zuletzt mit dem nach jüngst Marseille abgewanderten Cédric Bakambu die Kabine.

Das Niveau der chinesischen Liga mag nach einer kurzen Euphoriewelle wieder abgesunken sein, dennoch kommt Lei mit einem gut gefüllten Rucksack nach Zürich: Der Abwehrspieler war jahrelang in einem renommierten Verein engagiert, gewann in der Saison 2017/18 den Pokal und lief dazu schon 15-mal in der asiatischen Champions League auf. Dazu kommt, dass Lei 2019 zum Nationalspieler aufstieg: Fünf Partien für China stehen bislang zu Buche, sein letzter Einsatz datiert auf ein WM-Qualifikationsspiel gegen die Malediven im letzten Sommer.

Mehr als nur ein Marketingstunt?

Am Transfer gibt es jedoch mehrere Punkte, die stutzig machen: Erstens ist Lei bereits 29-jährig, dass Schweizer Vereine Spieler in diesem Alter verpflichten, kommt höchst selten vor. Nicht nur sind sie teurer als junge Talente, sie bieten auch einen weitaus geringeren Wiederverkaufswert. Zweitens lässt sich für Lei nicht sagen, ob und wenn ja wie schnell die sportliche Adaption gelingt, dazu gibt es mangels ähnlicher Transfers schlicht keine Referenzen. Wie entwicklungs- und anpassungsfähig ist ein 30-jähriger Spieler, der seine ganze Karriere im vertrauten heimatlichen Umfeld verbacht hat?

Angesichts dieser offenen Fragen ist klar, dass sich GC nicht sicher sein kann, dass Lei funktionieren wird. Das muss aber nicht zwingend ein Problem sein, wenn der eigentliche Zweck des Deals gar nicht sportlicher Natur ist, sondern dem Marketing dient. Bietet der chinesische Nationalspieler den Hoppers einen fussballerischen Mehrwert – oder soll er den Besitzern dabei helfen, die Marke zu stärken? Das ist die Kardinalsfrage, die sich aber erst beantworten lässt, wenn Lei seine ersten Einsätze für den Rekordmeister hatte.

Was darf man sportlich erwarten?

Ausgestattet mit einem Vertrag bis 2023, muss sich der ablösefreie Winterneuzugang nun erst in der Schweiz zurechtfinden. Gemäss Interviewaussagen ist er aber auf einem guten Weg, sich möglichst rasch zu integrieren. Bei den beiden Testspielen gegen YB und den FC Wil stand Lei bereits auf dem Platz, am Wochenende fehlte er aber zum Rückrundenauftakt verletzungsbedingt in Continis Aufgebot. Eine grosse Stärke des Chinesen ist seine Vielseitigkeit. Zwar wird er als Linksverteidiger geführt, kann aber auch in der Innenverteidigung, auf der rechten Aussenverteidigerposition und auf der offensiven Aussenbahn eingesetzt werden.

Da Contini nicht auf ein fixes Spielsystem festgefahren ist, kommt Lei für unterschiedliche Rollen in Frage. Lässt der Coach mit einer Dreierkette spielen, kann der 1,82m-Mann als linker Innenverteidiger oder als Wingback auflaufen. In einer klassischen Viererabwehr ist Lei als Aussenverteidiger ebenfalls gut aufgehoben. Die Konkurrenz ist insbesondere mit Ermir Lenjani (32) und den beiden neuen Innenverteidigern Tomàs Ribeiro (22) und Ayumu Seko (21) gross, jedoch dürfte er dank seiner Polyvalenz genügend Einsatzchancen erhalten.

Mit 29 Jahren verfügt Lei über reichlich Erfahrung, seine alte Mannschaft hat er in der Vergangenheit auch schon als Captain aufs Feld geführt. Er bringt also in puncto Mentalität und Verantwortung einiges mit. Ein offensives Feuerwerk mit vielen Scorerpunkten darf man von ihm aber nicht erwarten, seine Qualitäten liegen ganz klar im defensiven Bereich. In der chinesischen Liga verzeichnete er gute Werte in den Bereichen Tacklings und Flanken. Kann er sich rasch einleben und seine ersten Spielminuten für GC sammeln, könnte er eine gute Rolle in der Super League spielen. Fällt ihm die (sportliche) Integration aber schwer, dürfte die Vereinsführung als Initiatorin eines Marketingstunts kritisiert werden – egal ob der Deal tatsächlich als ein solcher geplant war oder nicht.

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