Es ist Sommerpause! Die Super-League-Klubs blicken sich auf dem Transfermarkt nach Verstärkungen um. In der Serie „Transfer Scouting“ schlüpfen wir in die Sportchef-Rolle und suchen nach passenden Neuzugängen. Teil 1/10: FC Winterthur.
Der FC Winterthur kehrt zum ersten Mal seit fast 40 Jahren in die höchste Schweizer Spielklasse zurück. In einem Herzschlagfinale setzte sich der FCW am letzten Spieltag dank des besseren Torverhältnisses gegen den FC Schaffhausen und den FC Aarau durch und errang den Zweitliga-Titel. Zwar verliert man mit Aufstiegscoach Alex Frei (42) nun eine wichtige Stütze des historischen Erfolgs nach Basel, hat mit Bruno Berner (44) aber bereits vielversprechenden Ersatz verpflichtet.
Auf Sportchef Oliver Kaiser wartet nach Abschluss der Trainersuche viel Arbeit am Teamgerüst. Das Kader reicht den neuen Erstliga-Ansprüchen noch nicht ganz, auf gewissen Positionen müssen definitiv Verstärkungen her. Aber: Der FCW ist im Vergleich zum Rest der Super League ein wirtschaftliches Leichtgewicht. Ein grosses Transferbudget steht nicht zur Verfügung. Gefragt sind also billige neue Spieler, die im besten Fall einen gewissen Wiederverkaufswert besitzen.
Ein erster wichtiger Schritt ist der sportlichen Führung mit den Vertragsverlängerungen zahlreicher Schlüsselspieler bereits gelungen. Thibault Corbaz (28), Neftali Manzambi (25) und Samir Ramizi (30) zählen zu jenen Leistungsträgern, die ihre auslaufenden Arbeitspapiere kurz nach dem Aufstieg erneuert haben. Noch immer in Verhandlungen über einen neuen Vertrag ist man mit Roberto Alves (24), der in der abgelaufenen Saison mit 24 Scorerpunkten so etwas wie der MVP des FCW war. Ihm dürften so einige verlockende Angebote grösserer Klubs vorliegen (Legia Gdansk?), eine Verlängerung bei Winti wirkt Stand jetzt daher eher unwahrscheinlich. Gescheitert sind die Vertragsgespräche mit Keeper Raphael Spiegel (29). Nach 4 Jahren beim FCW bestätigte er seinen Abgang via Social Media. Sein neuer Arbeitgeber heisst Lausanne-Sport.
Ein Blick auf bereits bestätigte Transfers:
Zugänge: –
Abgänge:
- Gabriel Isik (23): FC Vaduz
- Raphael Spiegel (29): Lausanne-Sport
- Sayfallah Ltaief (22): FC Basel
Offen:
- Roberto Alves (24): Vertragsende
- Florian Baak (23): Vertragsende
- Silvan Kriz (22): Vertragsende
- Arlind Dakaj (20): Vertragsende
- Dimitri Volkart (22): Vertragsende
- Sandro Di Nucci (20): Vertragsende
- Kevin Costinha (21): Vertragsende
- Gianluca Tolino (22): Vertragsende
- Samuel Ballet (21): Leihende
- Shkelqim Demhasaj (26): Leihende
- Tician Tushi (21): Leihende
Wo besteht beim FC Winterthur Handlungsbedarf?
„Grundsätzlich brauchen wir für jede Reihe noch eine Verstärkung“, liess FCW-Sportchef Oliver Kaiser kurz nach dem Aufstieg im Landboten verlauten. Gerade in Sachen Kadertiefe sollte im Hinblick auf die Super League noch etwas gehen. Unbedingter Handlungsbedarf besteht im Tor, in der Innenverteidigung, auf den defensiven Aussenpositionen, im offensiven Mittelfeld, auf dem Flügel und im Sturmzentrum. Während in der zentralen Abwehr neben Captain Granit Lekaj (32) und Roy Gelmi (27) ein Verteidiger mit Geschwindigkeit fehlt, ist es auf der rechten bzw. linken Aussenbahn vor allem die Qualität. Das Tandem hinten links, bestehend aus Souleymane Diaby (22) und Tobias Schättin (24), ist solide, genauso wie das Duo auf der rechten Seite, das sich aus Michael Gonçalves (27) und Adrian Gantenbein (21) zusammensetzt. Jedoch fehlt schlicht auf beiden Seiten nachgewiesenes Super-League-Niveau.
Im offensiven Mittelfeld wird sich ebenfalls etwas tun. Einerseits muss (sehr wahrscheinlich) ein Ersatz für Roberto Alves gefunden werden, andererseits sollte auf dieser Position mit einem flexibel einsetzbaren Offensivspieler die Breite im Kader weiter vergrössert werden. Dasselbe gilt für den Flügel, wo Ltaief den Verein in Richtung FCB verlassen hat. Zu guter Letzt darf man auch im Sturmzentrum mit einem Zuzug rechnen, hinter Goalgetter Roman Buess (29) fehlen die Alternativen. Auf den anderen Positionen – namentlich im zentralen Mittelfeld – muss nur im Falle eines Abgangs nachgerüstet werden.
Kaderplanung FC Winterthur
Tor: Die grosse Frage – wer kann Raphael Spiegel ersetzen?
Im Tor kommt auf den FCW eine heikle Aufgabe zu: Stammgoalie Raphael Spiegel verlässt den Verein und wechselt zu Lausanne-Sport, sein Stellvertreter Jozef Pukaj (22) ist für die Nummer-1-Rolle in der Super League noch nicht bereit.
So ist der FCW nun gezwungen, einen neuen starken Keeper zu verpflichten. Eine mögliche Option wäre vielleicht Joël Kiassumbua (30). Der kongolesische Nati-Goalie ist seit seinem Wegzug aus Genf vereinslos, verfügt aber ohne jeden Zweifel über Super-League-Format. Alternativ käme vielleicht auch Noam Baumann (26) in Frage, der in Lugano komplett aussen vor ist und sich eine neue Herausforderung suchen muss. Aber da er in Topform zu den besten Goalies der Liga zählt, dürften noch weitaus potentere Interessenten als der FCW mitmischen. Als letzten Namen wollen wir an dieser Stelle noch Justin Hammel (21) in den Ring werfen, U21-Nationalspieler und seit eineinhalb Jahren die Nummer 1 bei Stade-Lausanne Ouchy. Die Herausforderung Super League dürfte ihn reizen, der FCW wäre der perfekte nächste Schritt.
Unser Vorschlag für den Fall eines Spiegel-Abgangs: Joël Kiassumbua (zuletzt Servette)
Alternativen: Noam Baumann (FC Lugano) / Justin Hammel (SLO)
Innenverteidigung: Mehr Tempo muss her
Der FCW stellte in der abgelaufenen Saison mit 45 Gegentoren die beste Defensive der Challenge League. Restlos überzeugen konnte die Eulachstädter Hintermannschaft dennoch nicht. Das Innenverteidigerduo Lekaj / Gelmi gibt zwar in der Luft und im Zweikampf eine gute Figur ab, weist aber grosse Tempodefizite auf. Hinter den beiden Stammkräften lauern mit Toptalent und U19-Nationalspieler Pascal Hammer (18) sowie dem Langzeitverletzten Marin Cavar (22) zwei interessante Alternativen. Dennoch würde es nicht schaden, einen weiteren qualitativ hochwertigen und etwas athletischeren Innenverteidiger zu verpflichten.
Eine naheliegende Möglichkeit wäre, Lindrit Kamberi (22) vom FCZ zu verpflichten. Der frühere Schweizer Nachwuchsinternationale verbrachte die Saison 2020/21 bereits leihweise beim FCW und hinterliess mit Reife, Athletik und Zweikampfhärte bleibenden Eindruck. Beim Schweizer Meister dürfte er auch in der kommenden Spielzeit einen schweren Stand haben. Wieso also nicht zurück auf die Schützi und sich in Winterthur einen Stammplatz erarbeiten? Als mögliche Alternative käme vielleicht auch Jan Elvedi (25) in Frage. Der Bruder von Nati-Star Nico steht bei Jahn Regensburg in der 2. Bundesliga unter Vertrag, hat nach einem guten Debütjahr aber seinen Platz verloren. Bei Bruno Berner, seinem ehemaligen Förderer in Kriens, könnte er einen neuen Anlauf nehmen und zum ersten Mal in seiner Karriere erstklassig spielen.
Unser Vorschlag für die Innenverteidigung Lindrit Kamberi (FC Zürich)
Alternative: Jan Elvedi (Jahn Regensburg)
Aussenverteidigung: Super-League-Niveau gefragt
Die Winterthurer Aussenverteidiger-Abteilung bestritt gemeinsam 24 Super-League-Einsätze. 14 davon gehen auf das Konto von Michael Gonçalves (Servette), 10 auf jenes von Tobias Schättin (FCZ). Beide konnten sich auf höchstem Level aber nicht durchsetzen und wechselten zurück in die Challenge League. Es fehlt auf den defensiven Aussen also offensichtlich an Super-League-Erfahrung und -Qualität.
Diese mitbringen würde der albanische Nationalspieler Ermir Lenjani (32), der seine Karriere einst in Winterthur begonnen hat und nach Ablauf seines Vertrages bei GC nun gratis zu haben wäre. Ein No-Brainer für den Aufsteiger! Eine interessante Alternative könnte auch ein weiterer FCZ-Junior darstellen: Fabian Rohner (23) kann auf der rechten Seite defensiv wie offensiv eingesetzt werden und dürfte beim Schweizer Meister ebenfalls keine Zukunft mehr haben. Auch das wäre ein toller Deal für den FCW.
Unser Vorschlag für die Aussenverteidigung: Ermir Lenjani (Linksverteidiger, zuletzt GC)
Alternative: Fabian Rohner (Rechtsverteidiger, FC Zürich)
Offensives Mittelfeld: Die Suche nach dem Alves-Ersatz
Roberto Alves war in der abgelaufenen Saison DER Unterschiedsspieler: Er registrierte 24 Scorerpunkte, glänzte zudem als feiner Standard-Schütze und kreativer, technisch hochveranlagter Spielmacher. Dass er nach Ablauf seines Vertrages andere Angebote erhält, ist nur logisch. Sein Verbleib wirkt Stand jetzt unwahrscheinlich, eine erste Offerte des FCW lehnte er ab. Der Klub sollte sich daher bereits mit seiner Nachfolge beschäftigen. Wie die Schaffhauser Nachrichten berichten, steht Francisco Rodriguez (26) weit oben auf der FCW-Wunschliste. In der abgelaufenen Saison registrierte der kleine Bruder von Nati-Star Ricardo 12 Scorerpunkte in 27 Einsätzen und wäre nun ablösefrei erhältlich. Noch bessere Scorerwerte vorweisen, kann Wil-Freigeist Sofian Bahloul (22, 18 Scorerpunkte). Der Franco-Algerier besitzt zudem einen höheren Wiederverkaufswert und wäre bei einem Jahr Restvertrag definitiv erschwinglich.
Hinter Alves fehlte auf der Zehn eine echte Alternative. Da auch Bruno Berner gerne mit offensivem Mittelfeldspieler agieren lässt, wäre hier eine weitere Verpflichtung ratsam. Eine überaus interessante Option könnte Nico Maier (21) sein. Der YB-Junior gehört zwar der 1. Mannschaft an, kam in den vergangenen zwei Saisons aber auf gerademal 7 Einsätze bei den Profis. In der U21 überragte er währenddessen, in dieser Spielzeit glückten ihm in 18 Auftritten in der Promotion League starke 13 Tore. Der wirblige, freche Mittelfeldspieler kann nicht nur zentral, sondern auch auf den Seiten eingesetzt werden. Bei den Young Boys scheint er keine echte Chance zu erhalten – der Sprung nach Winterthur würde daher für alle Parteien Sinn ergeben.
Unser Vorschlag fürs offensive Mittelfeld: Sofian Bahloul (FC Wil) & Nico Maier (BSC Young Boys)
Alternative: Francisco Rodriguez (FC Schaffhausen)
Flügel: Wer beerbt Ltaief?
Auf dem Flügel muss der FCW seinen trickreichen Senkrechtstarter Sayfallah Ltaief ersetzen. Der Tunesier wechselt gemeinsam mit seinem Förderer Alex Frei zum FC Basel. Nun sind die Verantwortlichen gefordert, einen Spieler mit ähnlichen Qualitäten (Geschwindigkeit, Dribbelstärke, Spielfreude) zu präsentieren. Jemand, der eine ähnliche Spielweise wie Ltaief pflegt, wäre U21-Nationalspieler Christopher Lungoyi (21). Der Genfer gehört Juventus, war zuletzt aber an den FC St.Gallen verliehen. Er dürfte für die kommende Saison erneut per Leihgeschäft verfügbar sein. Alternativ würde sich anbieten, beim FC Zürich zu wildern. Die beiden Zürcher Talente Henri Koide (21) und Kedus Haile-Selassie (20) erfüllen das gesuchte Anforderungsprofil ebenfalls und wären wohl genauso per Leihe erhältlich.
Unser Vorschlag als potentieller Ltaief-Ersatz: Christopher Lungoyi (Juventus, zuletzt leihweise beim FC St.Gallen)
Alternative:
Henri Koide (FC Zürich, zuletzt leihweise bei Xamax) oder Kedus Haile-Selassie (FC Zürich)
Sturm: Wer wird das Buess-Back-up?
Roman Buess ist gesetzt, daran gibt es nichts zu rütteln. In dieser Saison war sein erstes Back-up YB-Leihgabe Samuel Ballet (21). Gut vorstellbar, dass der flexibel einsetzbare Angreifer fix von Winterthur übernommen wird. Trotzdem sollte ein weiterer Neuner verpflichtet werden, um die Qualität in der Breite zu erweitern. Ein überaus spannender Name wäre jener von Tresor Samba (20). Der frühere FCB-Junior spielt seit diesem Winter für die AC Bellinzona und hat seine Torjägerqualitäten in der Promotion League eindrücklich unter Beweis gestellt. Der FCW als erste Etappe in der Super League? Würde doch Sinn ergeben. Eine mögliche Alternative könnte ebenfalls aus der Promotion League kommen: Chiasso-Goalgetter Evans Maurin (21) ist ein spannender Spieler, den es auf dem Zettel zu haben gilt.
Unser Vorschlag für den Sturm: Samuel Ballet (BSC Young Boys, zuletzt leihweise beim FC Winterthur) & Tresor Samba (AC Bellinzona)
Alternative: Evans Maurin (FC Chiasso)
So könnte der FC Winterthur in der neuen Saison auflaufen:
Als weitere Kader-Optionen auf der Bank: Marin Cavar (IV), Tobias Schättin (LV), Arlind Dakaj (ZM), Carmine Chiappetta (Flügel)