Der Schweizer Verband stellt endlich wieder eine U20-Auswahl. Wer sind die Gesichter dieses neuen Teams?
Die U20-Stufe ist im europäischen Nachwuchssystem die zweitälteste Junioren-Stufe nach der U21. In diesem Alter trennt sich meist die Spreu vom Weizen. Hier schärfen sich Karrierewege in Richtung Profifussball – oder stürzen ab in die Vergessenheit. In diesem Alter stehen die Spieler an der Schwelle zum Profibereich. Umso wichtiger für einen nationalen Verband, dass hier ein Gefäss geboten wird, wo sich die vielversprechendsten U20-Talente zeigen und weiterentwickeln können.
Nach eineinhalb Jahren wieder im Einsatz
Lange hat der SFV aber auf ein U20-Team verzichtet. Das letzte Mal im Einsatz war eine U20-Nati im März 2023, also vor rund eineinhalb Jahren. Damals Teil des Teams: Unter anderem Daniel Dos Santos (Lugano), Luca Jaquez (Luzern), Valmir Matoshi oder Nikolas Muci (GC). Von den damals 23 aufgebotenen Spielern haben es 22 nachhaltig in den Profibereich geschafft.
Das zeigt: Es ist absolut sinnvoll, eine U20-Equipe zu stellen. Im Rahmen internationaler Spiele können die aufgebotenen Talente ihre Wettkampfhärte auf höherem Niveau nachweisen und sich in ihren Stammklubs – aber auch bei anderen Vereinen – für eine Rolle in der 1. Mannschaft aufdrängen.
Nach langer Pause hat der Schweizer Verband im September 2024 die U20-Nati wiederbelebt. Unter der Ägide des Trainers Gian-Luca Privitelli, unterstützt von Luigi De Donno (Winterthur U19), erfolgte anfangs Monat der Kickoff für ein intensives neues U20-Programm. Dieses berücksichtigt Spieler mit Jahrgang 2004 und 2005.
Das September-Aufgebot im Überblick:
Anmerkung: Für Issa Kaloga wurde Ryan Kessler (2005, Aarau) nachnominiert.
In zwei Partien gegen die U20-Auswahl von Frankreich präsentierte sich diese frisch zusammengewürfelte Schweizer Mannschaft trotz zwei Niederlagen (3:5, 1:2) ansprechend. Gerade die für Schweizer Verhältnisse gut bestückte Offensive unterstrich mit vier Toren über zwei Spiele ihre Qualität.
Interessant: Das Team besteht aus einem wilden Mix von ausgewählten Top-Talenten aus dem Ausland, aufstrebenden Newcomern und einigen Exoten, die dank ihrer Matchpraxis im Herrenbereich den Sprung ins Aufgebot geschafft haben. Allgemein gilt auf dieser Stufe: Wer bereits Minuten im Profifussball gesammelt hat, der hat einen Platz im Team fast auf sicher. Das erklärt, wieso so viele Spieler aus der Challenge League mit dabei sind.
Die Top-Talente
Zwar gilt der Fokus der U20-Auswahl wie oben angetönt eher der Erfahrung auf Profistufe statt dem Potenzial. Und doch finden sich im Kader auch einige der vielversprechendsten Schweizer Talente überhaupt. Etwa Abwehrjuwel Bruno Ogbus (Bild). Der Zürcher, der in unserem Swiss Talent Ranking im Frühjahr mit einer guten Position bewertet wurde, hat in diesem Sommer beim SC Freiburg den Sprung in die 1. Mannschaft geschafft. Und sammelt dort bereits fleissig Einsatzminuten. Der Durchbruch im Freiburger Nachwuchs ist Ogbus als Innenverteidiger gelungen. Mit seinem physischen Stil, geprägt von viel Tempo und brillanter Athletik, machte er in der Junioren-Liga und in der 3. Liga auf sich aufmerksam. Bei den Profis ist Ogbus aber – wohl aufgrund zwei, drei Zentimeter mangelnder Grösse – als Rechtsverteidiger eingeplant. Auch das kann er, seine angesprochene athletische Qualität hilft ihm auf der Aussenbahn enorm. Wenig überraschend ist Ogbus ein Schlüsselspieler in der Defensive der U20-Nati. Möglich aber, dass er Coach Privitelli nicht allzu lange zur Verfügung steht. Mit jeder Einsatzminute in der Bundesliga steigt die Chance, dass Ogbus in die U21-Nati befördert wird.
Zu den namhaften Top-Juwelen zählen neben Marseille-Innenverteidiger Roggerio Nyakossi auch zwei weitere Freiburger: Sturmtank Alessio Besio, der nach langer Verletzungspause nun in der zweiten Mannschaft des SCF am Durchbruch kratzt (3 Tore in 6 Spielen in der Regionalliga). Und Mittelfeld-Rohdiamant Johan Manzambi. Dieser gehört, genau wie Ogbus, zum erweiterten Kader der Profis, bestritt die gesamte Vorbereitung mit dem Bundesliga-Team. Auch Manzambi staubte in unserem Swiss Talent Ranking eine vorzügliche Klassierung ab. Der Genfer ist ein extrem dynamischer Box-to-Box-Spieler, lebt von seinem energetischen Stil und seinen Fähigkeiten als Ballschlepper. Typus Zakaria – aber geschmeidiger, kreativer. Ein grosser Vergleich. Aber Bolzplazz ist von Manzambis Potenzial überzeugt.
Selbiges gilt für Basel-Flügel Roméo Beney. Zwar ist ihm der grosse Durchbruch beim FCB noch nicht ganz geglückt. Seine Anlagen sind trotzdem extrem aufregend. Flügelspieler wie er gibt es in der Schweiz nicht zuhauf. Explosiv, kraftvoll, stark im 1vs1, guter linker Fuss. Klar, dass auch er eine wichtige Rolle in der neuen U20-Nati einnimmt. Im ersten Spiel dieser neuen Generation traf er denn auch sogleich – ein Tor aus der Distanz, nachdem er von der rechten Seite nach innen zog. Eines seiner Markenzeichen. In der Schweizer Offensive läuft er an der Seite von Labinot Bajrami (Bild) auf. Dieser ist von seinen reinen Anlagen her wohl der kompletteste Schweizer Mittelstürmer mit Jahrgang 2005. Beim FC Winterthur wird er nun endlich regelmässig Einsatzzeit in der Super League erhalten. Auch er fügte sich in der neuen U20-Nati direkt mal mit einem Treffer ein.
Die Newcomer
Das Schöne an der U20-Stufe: Auch Newcomer ohne grosse Lobby, ohne grosse Namen, die sich auf Profi-Level aber bereits beweisen konnten, erhalten eine Chance. Stellvertretend dafür steht Schaffhausen-Shootingstar Marc Giger (Bild, Mitte). Der Angreifer war 2023 noch in der 1. Liga aktiv, beim FC Linth. Via Promotion-League-Klub Paradiso schaffte er den Sprung zum FC Schaffhausen und damit in den Profi-Bereich. Dort entwickelt sich Giger nun rasant weiter, kommt in dieser Saison in 7 Einsätzen bereits auf 5 Scorerpunkte. Der Lohn: ein erstmaliges Aufgebot für eine Schweizer Junioren-Nationalmannschaft. Und siehe da: Giger kam in beiden Partien zum Einsatz, lieferte eine Vorlage und erzielte prompt auch sein Debüt-Tor für den SFV. Ein herrlicher Treffer aus der Distanz. Damit bewies er, dass seine brillante Schusstechnik auf internationalem Level ist. Neben herausragenden Fähigkeiten am Ball bringt Giger auch viel Speed und eine bemerkenswerte Schlitzohrigkeit mit. Das Paket ist sehr spannend. Und verschafft ihm tolle Perspektiven beim SFV. Mehr zu Gigers interessantem Profil und Werdegang hier.
Giger ist aber nicht der einzige Newcomer, der dank plötzlichem Aufstieg in den Profi-Fussball in der U20-Nati gelandet ist. Das trifft auch auf Brillani Soro zu. Der Innenverteidiger aus Neuenburg gehört bei Xamax seit der Rückrunde zum Stammpersonal. Mangelnde Körpergrösse macht er mit viel Tempo und Mobilität wett. Vom SFV wurde er, genau wie Giger, vorher noch nie für eine Junioren-Nati berücksichtigt.
Die Exoten
Besonders interessant ist im Aufgebot der U20-Nati eine dritte Spieler-Kategorie: Nämlich die Exoten. Spieler, die fernab des Rampenlichts spielen, kaum bekannt sind. Und trotzdem Argumente für eine Berufung in die U20 haben. Das trifft in erster Linie auf Burak Alili zu. Der Bieler gehört eigentlich dem tschechischen Klub Viktoria Pilsen, ist seit diesem Sommer aber leihweise in der zweithöchsten Liga Österreichs bei Lafnitz engagiert. Dort sammelt der zentrale Mittelfeldspieler reichlich Matchpraxis auf Profi-Niveau, was ihn nun, wohl etwas unverhofft, in die Schweizer U20-Auswahl gespült hat.
Ein Exot ist ganz sicher auch Ahmedin Avdic (Bild). Zwar spielt er in der Schweiz, vornehmlich für die zweite Mannschaft von Yverdon (1. Liga Classic). Wirklich bekannt war er vor dem Start dieser Saison aber niemandem. Im Sommer wurde er ins erweiterte Kader der Profi-Abteilung integriert und durfte in den letzten Wochen mehrfach Super-League-Luft als Joker schnuppern. Mit Spitzenfussball hatte Avdic lange wenig zu tun, via den Amateur-Klubs Malley, Renens und Chavannes Epenex landete er bei SLO. Und von dort aus ging es weiter nach Yverdon – wo seine Karriere nun Fahrt aufnimmt. Avdic ist in der Offensive variabel einsetzbar, kann auf dem Flügel als auch im offensiven Mittelfeld agieren. Er ist flink, sehr beweglich und technisch unheimlich versiert. Typus Spektakel-Kicker. Man darf gespannt sein, wie seine Entwicklung weitergeht. Und ob er vielleicht nachhaltig für den SFV zum Thema wird.
Zu guter Letzt soll an dieser Stelle ein weiterer Exot erwähnt sein, der es zwar nicht ins Aufgebot, dafür aber auf die Abruf-Liste geschafft hat: Morré Makadji. Ein linksfüssiger Innenverteidiger mit interessanten körperlichen Anlagen, der in Slowenien bei NK Domzale unter Vertrag steht. Dort kommt er aber bislang über den Status des Kaderspielers nicht hinaus. In der letzten Saison war Makadji auf Leihbasis in der zweithöchsten Liga Sloweniens aktiv, bei NK Triglav Kranj. Seine fussballerische Ausbildung durchlief er in Italien bei Venezia. Via dem Nachwuchs von Torino ging es nach Slowenien. Schön zu sehen, dass der SFV auch diese Spieler im Auge hat.